Die Filmforschung der letzten Jahrzehnte hat viel zur Erhellung der Bewegung im Kino beigetragen. Sie vernachlässigt jedoch jene Vorrichtung, die Bewegung erst ermöglicht: den Weg. Bewegung braucht Wegung, um auf der Leinwand sichtbar zu werden. Diese Beziehung zu erhellen hat sich die Buchreihe vorgenommen. Der erste Band stellt die Bewegungsstudien des Kinos vom Kopf auf die Füße, von der Bewegung auf den Weg. Wohin die Wege führen entwirft ein Forschungsbesteck zur theoretischen Wende vom Überblick auf die Suprastruktur filmischer Bilder zur Untersuchung ihrer Infrastruktur. Als Vademekum führt das Buch von der Bewegung zum Weg, von der Beweglichkeit zur Weglichkeit, vom Schauplatz zum Ereignis.Von diesen filmanthropologischen Voraussetzungen ausgehend sind bewegte Bilder nur mehr in technischen und deskriptiven Diskursen mit Begriffen wie Blick und Einstellung, Schuss und Gegenschuss zu verstehen. Sobald man bildkompositorische oder narrative, wahrnehmungstheoretische und bildpolitische Aspekte ins Auge fassen will, kommt man an ihrem Verständnis als Kontinua wahrgenommener Sehwege nicht vorbei. Sie bestimmen die Vektoren der Fortbewegung ihrer Figuren, sei diese nun retrospektiv als Spur verlaufend oder prospektiv als Bahn.Erst wenn Wege als Leitplanken oder Furchungen der Fortbewegung gesehen werden, zeigt sich das Kino auch als Erkenntnisinstrument im Schnittpunkt kultureller Verortung von Dauer und Veränderung, Raum und Zeit. Der filmische Chronotopos des Wegs ist deshalb kein abstraktes Element der Abläufe auf der Leinwand. Er bindet uns BetrachterInnen konkret ein in die Dynamik der Bilder und fordert uns kategorisch zur partizipativen Teilnahme am Gang der Dinge auf.Im Lichte dieser Theoreme filmischer Weglichkeit zeigen die neununddreißig analysierten oder erwähnten Filme je ihr eigenes, in jedem einzelnen aber bisher übersehenes Gesicht. Hepworths How it feels to be Run Over versteckt das Ereignis und Gefühl, das er im Titel verspricht, hinter der Staubwolke einer Landstraße; Renoirs Madame Bovary schwankt auf ihren Wegen durch die Normandie zwischen Abhängigkeit und Autonomie und Fassbinders Fontane-Film zeigt Effi Briest beinahe verschwindend in der Massivität der vegetabilen Wege durch die Gärten des väterlichen Anwesens. Fred Astaire bewegt sich im Dialog mit dem Beweggrund seines Tanzes, Maya Derens vitalistische Verkörperungen zeigen sich nicht einfach bewegt, sondern gehen ein in die Wege bewegten Sehens. Méliès wiederum entwickelt, gesehen aus der Perspektive der Sehwege, den Film heraus aus anfänglichen Hybriden von Weg und Ort zu einer dynamischen Ästhetik der Fortbewegungen auf Land-, Luft- oder Wasserwegen. Hou Hsiao Hsien und Oshimas Nackte Jugend, Béla Tarr und Welles’ Le procès setzen dagegen bei der Konstruktion ihrer Wege schroffe Zeichen maschineller Eingriffe. All diese Filme, ob von Epstein, Hitchcock oder Peleschian, bewegen und berühren weniger durch Blicke auf Orte als durch Sichten auf Wege.
Aktualisiert: 2023-05-18
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Die Filmforschung der letzten Jahrzehnte hat viel zur Erhellung der Bewegung im Kino beigetragen. Sie vernachlässigt jedoch jene Vorrichtung, die Bewegung erst ermöglicht: den Weg. Bewegung braucht Wegung, um auf der Leinwand sichtbar zu werden. Diese Beziehung zu erhellen hat sich die Buchreihe vorgenommen. Der erste Band stellt die Bewegungsstudien des Kinos vom Kopf auf die Füße, von der Bewegung auf den Weg. Wohin die Wege führen entwirft ein Forschungsbesteck zur theoretischen Wende vom Überblick auf die Suprastruktur filmischer Bilder zur Untersuchung ihrer Infrastruktur. Als Vademekum führt das Buch von der Bewegung zum Weg, von der Beweglichkeit zur Weglichkeit, vom Schauplatz zum Ereignis.Von diesen filmanthropologischen Voraussetzungen ausgehend sind bewegte Bilder nur mehr in technischen und deskriptiven Diskursen mit Begriffen wie Blick und Einstellung, Schuss und Gegenschuss zu verstehen. Sobald man bildkompositorische oder narrative, wahrnehmungstheoretische und bildpolitische Aspekte ins Auge fassen will, kommt man an ihrem Verständnis als Kontinua wahrgenommener Sehwege nicht vorbei. Sie bestimmen die Vektoren der Fortbewegung ihrer Figuren, sei diese nun retrospektiv als Spur verlaufend oder prospektiv als Bahn.Erst wenn Wege als Leitplanken oder Furchungen der Fortbewegung gesehen werden, zeigt sich das Kino auch als Erkenntnisinstrument im Schnittpunkt kultureller Verortung von Dauer und Veränderung, Raum und Zeit. Der filmische Chronotopos des Wegs ist deshalb kein abstraktes Element der Abläufe auf der Leinwand. Er bindet uns BetrachterInnen konkret ein in die Dynamik der Bilder und fordert uns kategorisch zur partizipativen Teilnahme am Gang der Dinge auf.Im Lichte dieser Theoreme filmischer Weglichkeit zeigen die neununddreißig analysierten oder erwähnten Filme je ihr eigenes, in jedem einzelnen aber bisher übersehenes Gesicht. Hepworths How it feels to be Run Over versteckt das Ereignis und Gefühl, das er im Titel verspricht, hinter der Staubwolke einer Landstraße; Renoirs Madame Bovary schwankt auf ihren Wegen durch die Normandie zwischen Abhängigkeit und Autonomie und Fassbinders Fontane-Film zeigt Effi Briest beinahe verschwindend in der Massivität der vegetabilen Wege durch die Gärten des väterlichen Anwesens. Fred Astaire bewegt sich im Dialog mit dem Beweggrund seines Tanzes, Maya Derens vitalistische Verkörperungen zeigen sich nicht einfach bewegt, sondern gehen ein in die Wege bewegten Sehens. Méliès wiederum entwickelt, gesehen aus der Perspektive der Sehwege, den Film heraus aus anfänglichen Hybriden von Weg und Ort zu einer dynamischen Ästhetik der Fortbewegungen auf Land-, Luft- oder Wasserwegen. Hou Hsiao Hsien und Oshimas Nackte Jugend, Béla Tarr und Welles’ Le procès setzen dagegen bei der Konstruktion ihrer Wege schroffe Zeichen maschineller Eingriffe. All diese Filme, ob von Epstein, Hitchcock oder Peleschian, bewegen und berühren weniger durch Blicke auf Orte als durch Sichten auf Wege.
Aktualisiert: 2023-01-31
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IIm ersten Drittel des 19. Jahrhunderts erlebte das Atelier als Ort der Inspiration und Werkgenese eine weitreichende Aufwertung. Die Sakralisierung des Künstlers in der Romantik führte in der Öffentlichkeit zu einem gesteigerten Interesse am Ursprungsort der Kunst und zu den ersten Bemühungen, die Häuser berühmter Maler und Bildhauer allgemein zugänglich zu machen.
Seitdem wurden nicht nur die Ateliers alter Meister und Künstlerfürsten musealisiert. Auch zahlreiche Studios aus dem 20. Jahrhundert wurden konserviert, transloziert oder rekonstruiert – wie zum Beispiel das Atelier von Paul Cézanne in Aix-en-Provence, die Werkstätten von Barbara Hepworth in Cornwall oder die legendäre Hütte von Jackson Pollock auf Long Island.
Die vorliegende Publikation bietet zum ersten Mal eine Übersicht über sämtliche Entwicklungsphasen des „musealisierten Ateliers“ in Europa und Nordamerika sowie eine thematisch differenzierte und vertiefte Darstellung des Phänomens in Bezug auf Studios der Moderne und Postmoderne. Anhand ausgesuchter Schaffensorte werden unterschiedliche Musealisierungsformen aufgezeigt und dabei wesentliche Punkte beleuchtet, die sich aus der jeweiligen Transformation des ursprünglich aktiv und privat genutzten Ateliers in ein meist posthum und statisch angelegtes Besichtigungsziel herauskristallisieren.
Einen übergeordneten Aspekt liefert schließlich die Frage nach dem wissenschaftlichen Wert musealisierter Künstlerstudios – die Frage nach dem Aussagegehalt dieser Räume im Hinblick auf das dort entstandene Werk.
Aktualisiert: 2022-04-21
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