Über die Umsetzung eines Beschlusses über die Errichtung einer Intelligenzsiedlung in Berlin-Grünau zu berichten, bedurfte es längerer Zeit. Immer wieder schaute sich der Autor den „Bebauungsplan des Geländes an der Regattastr. in Grünau (Wieseneck)“ vom März 1950 an. Hier waren die „Eigenheime für die schaffende Intelligenz“ eingezeichnet, nummeriert und mit den Namen der zukünftigen Bewohner beschriftet. Was bedeutete damals die Wortwahl von der „schaffenden Intelligenz“? Was sollte sie schaffen? Existierte auch eine Intelligenz, die „nichts“ schafft? Als Intelligenz wurde die Gesamtheit (Schicht) der Angehörigen der „geistigen Berufe“ verstanden, Menschen also, die etwas mit ihrem Geist in der Lage sind zu schaffen. Und die anderen? Wer waren die „Intelligenzler“, welche Berufe übten sie aus? Verstanden sie sich selbst als solche? Fanden sie es nachvollziehbar, hier in Grünau in ein Haus zu ziehen, wo einige hundert Meter entfernt Grünauer Einwohner, Alteingesessene, wohnten, die nicht zur Schicht der Intelligenz gehörten? Konflikte waren in der ohnehin schon konfliktreichen deutschen Vergangenheit und Nachkriegszeit vorauszusehen. Es stellte sich die Frage, ob es eine Berechtigung gibt, über diese „Intelligenzler“ zu berichten. Vielleicht lag es auch nicht im Interesse der noch lebenden Angehörigen.
Von vornherein bestand nicht die Absicht, die gesamten Lebensgeschichten, die Biografien der Erstbewohner abzubilden. Aufgrund deren Bekanntheitsgrades konnte und kann in Lexika oder bei Wikipedia nachgelesen werden. Dennoch unterschieden sich vielerlei Angaben von denen, die auf Nachfrage von Familienmitgliedern, von Selbstzeugnissen, von ausgeliehenen persönlichen Dokumenten oder von eingeholten Archivmaterialien zur Verfügung standen.
So verdichtete sich mehr und mehr ein Bild über die Grünauer Siedlung und deren Bewohner im familiären, historischen, gesellschaftlichen und politischen Kontext. Egal woher sie kamen, sie kamen an einen Ort, in eine Siedlung, die für sie mitten in den Grünauer Forst gebaut wurde. Es war die Deutsche Demokratische Republik, es war deren Ministerpräsident Otto Grotewohl, der am 16. März 1950 eine Verordnung in Kraft setzte, wonach „für die Deutsche Intelligenz“ – nicht nur an diesem Ort – Eigenheime gebaut werden sollten. Der Beginn der Projektierungs- und Baumaßnahmen erfolgte unmittelbar. Bereits im Dezember 1951 konnten die ersten Bewohner ihre Häuser beziehen. Fortan wohnten sie in Ost-Berlin, in der DDR. Ihre Lebensverhältnisse waren aus der Sicht der Grünauer Bewohner privilegiert. Die Entwicklung der DDR in den folgenden Jahren erlebten die Bewohner der Siedlung der „schaffenden Intelligenz“ ebenso wie die übrigen Bewohner Grünaus, Ost-Berlins, der DDR.
Die Reflexionen auf politische Ereignisse in ihrem Land, in Europa, auf der Welt, mag bei den Intelligenzlern unterschiedlich gewesen sein. Im Oktober 1989 geriet für alle Menschen die DDR ins Wanken, 1990 gehörte die DDR der Geschichte an. Auch in der ehemaligen Intelligenzsiedlung Grünau begann das Umdenken, eine neue Orientierung war angesagt. Für die „Neuen“, die Hinzugezogenen, war die Siedlung Geschichte. Sie kannten die Erstbewohner nicht, wussten nichts über deren Leben. Nicht nur für die neuen Bewohner in den Häusern mögen die nachfolgenden Ausführungen von Interesse sein. Diese Siedlungsgeschichte reiht sich ein in die Ortsgeschichte von Grünau, in die Bezirksgeschichte Treptow-Köpenick, in die Berliner Geschichtsschreibung. Sie stellt auch einen Teil der deutsch-deutschen Geschichte dar.
Aktualisiert: 2023-05-03
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Abgründe und Aufbrüche in historisch zugespitzten Konstellationen des letzten Jahrhunderts sowie politische Gelehrte, die solche Scheidewege der Geschichte reflektierten, sind hauptsächlich Gegenstand der vorliegenden Aufsatzsammlung. Am Vorabend seines Eintritts in den Rentenstand versichert ihr Verfasser, dass dies nicht das Ende seiner Wortmeldungen zu all den Themen ist, die im vorliegenden Band untersucht, reflektiert oder umkreist werden.
Der Band ist in sieben Sektionen gegliedert. In der ersten Sektion behandelt vier Beiträge Aspekte der Umbruchzeit zwischen Erstem Weltkrieg und den aus ihm erwachsenden Revolutionen. Der Beitrag über deutsche Historiker im Ersten Weltkrieg zeigt die massenhafte Anfälligkeit führender Akademiker für Chauvinismus und Militarismus und deren Ursachen; Probleme, die in unserer Zeit mit dem Erstarken auch eines akademischen Rechtsradikalismus – und seiner stillschweigenden Duldung durch Liberale – in neuer Form wiederauftauchen könnten. Die Zimmerwalder Konferenz 1915 und die deutsche Revolution 1918 waren zwei sehr unterschiedliche Versuche, Auswege aus dem Kriegskapitalismus zu finden; Linkszionismus und Kommunismus als Wege der Judenemanzipation zu vereinen, wie es die Poale Zion mit ihren Beitrittsbemühungen zur Komintern 1919–1922 unternahm, entsprang gleichfalls der Suche nach einer gesellschaftlichen Alternative zu Krieg und chauvinistischer Verhetzung, die schon damals im Antisemitismus gipfelten.
Der zweite Abschnitt wendet sich radikalen Linken zwischen Aufbruch und Abgrund, zwischen Revolutionserwartung, Faschismus und Stalinismus zu. Vier Berichte deutscher und englischer Reisender nach Sowjetrussland aus dem Jahr 1920 weisen auf Probleme des jungen Staates hin, vor denen die scharfsichtigen Beobachter ihre Augen nicht verschlossen. Den denkbar schärfsten Bruch in ihrer Existenz mussten deutsche und österreichische Kommunisten als Flüchtlinge in den USA ab 1938 verarbeiten; das Land des Hochkapitalismus bot auch jenen Sicherheit vor den Nazimördern, denen die wirtschaftliche Ordnung der Vereinigten Staaten als – manchmal heimlich bewundertes – Gegenmodell ihrer utopischen Vorstellungen erschien. Dies galt gerade auch für Stefan Heym, dem ein eigener Beitrag gewidmet ist. Susanne Leonhard und Ruth Fischer verarbeiteten auf teils ähnliche, teils grundverschiedene Art die politischen und biographischen Brüche ihrer oftmals höchst gefährdeten Existenz.
Um Vertreibung und Vernichtung geht es im dritten Abschnitt: in einem Beitrag zur Massenflucht als Signum des 20. Jahrhundert wie in zwei Beiträgen zur faschistischen Rassenpolitik und einer Abhandlung zum SS-Sport; zu Vertreibung und Selbstbehauptung legen im vierten Abschnitt vier Flüchtlingsschicksale Zeugnis ab; der fünfte Abschnitt, der sich Fragen der Wechselbeziehungen von Kultur, Sport und Politik zuwendet, schlägt die Brücke vom Roten Wedding der Weimarer Republik bis zu den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko.
Herausragenden Historikern als Mitgestaltern unserer Zeit ist der sechste Teil gewidmet: Wolfgang Leonhard, Hermann Weber, Walter Laqueur und dem viel zu früh verstorbenen Axel Schildt. Wie dieser Teil, besteht auch der siebente aus Beiträgen, in denen mir die traurige Pflicht zum Nachruf auferlegt war; in jedem seiner Abschnitte suche ich meine Lehrer und Freunde Werner Berthold, Hans Piazza, Georg Iggers und Theodor Bergmann zu würdigen, die alle im Jahr 2017 starben – einem wahren Annus horibilis für den Verfasser dieser Zeilen.
So verschiedenartig im Gegenstand und der Breite oder Knappheit der Gedankenführung die einzelnen Aufsätze und Studien dieses Bandes sind: Sie alle sind einem Anliegen verpflichtet, „der Aufkündigung dessen“ entgegenzuwirken, „was man als das Projekt der Aufklärung […] bezeichnen könnte, die Errichtung eines universellen Systems solcher Regeln und Normen des Moralverhaltens.“ Mit Eric Hobsbawm, auf den ich mich hier beziehe, meine ich, solche Werte bilden „das einzige Fundament all jener Bestrebungen, Gesellschaften zu errichten, in denen alle Menschenwesen überall auf dieser Erde leben können“ ; ein Fundament, auf dem, und auch hier folge ich Hobsbawm, die Kämpfe der Arbeiterbewegung fußten, die heute in manchen Teilen der Welt scheinbar nur noch Vergangenes verkörpern. Umso wichtiger ist mir die Neubelebung solcher Werte, die – auf den kürzesten Nenner gebracht – soziale Gerechtigkeit in politischer Freiheit herstellen und bewahren wollen. Dies mit den Mitteln historischer Forschung zu befördern, sehe ich als vornehmste Aufgabe meines Berufes.
Von einer Ausnahme, dem Beitrag über Ernst Busch, abgesehen, entstanden die hier abgedruckten Arbeiten in den Jahren 2014 bis 2019. Zu danken ist folgenden Verlagen, Bildungsvereinen und Zeitschriften für die Genehmigung zum Wiederabdruck: Arbeit-Bewegung-Geschichte. Zeitschrift für historische Studien (Metropol Verlag, Berlin); Archiv für Sozialgeschichte Online (Berlin); Berliner Gesellschaft für Faschismus- und Weltkriegsforschung e. V.; Das Blättchen (Berlin); Edition Bodoni (Berlin); Franz Steiner Verlag (Stuttgart); Helle Panke e. V. (Berlin); Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt (Dresden); Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen e. V. (Erfurt/Jena); Sozialismus (VSA-Verlag, Hamburg).
Aktualisiert: 2020-12-03
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Diese Bibliographie verzeichnet die Primär- und Sekundärliteratur zu Stefan Heym von den ersten Anfängen bis zum Jahr 2004. Sie umfaßt insgesamt 2544 Titel zu Werk und Wirkung. Aufgeführt werden Buchveröffentlichungen, Zeitungsartikel und ähnliches, außerdem Forschungsliteratur, Veröffentlichungen in der Presse sowie die Reaktion auf Heyms Schaffen in der Tages- und Wochenpresse.
Aktualisiert: 2023-04-12
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