In der Welt schrift-bildlicher Kommunikation werden Lektüren und Verständnisprozesse gerade auch durch mediale Formate organisiert, durch deren Eigenlogiken, die sich aus spezifischen Formen der Les-, Sicht- sowie Handhabbarkeit ergeben. Philologische Forschung ist daher gut beraten, jene Eigenlogiken medien- und materialsensibel zu rekonstruieren, und für das 19. Jahrhundert bedeutet das, Aushandlungsprozesse im Spannungsfeld der Parameter Buch- und Journalförmigkeit auszuloten: zwischen den Polen Dauer und Flüchtigkeit, Abgeschlossenheit und Fragment, einmaliger und periodischer Publikation, zwischen miszellaner Polyphonie und monologischer Einstimmigkeit. In den seltensten Fällen allerdings liegt fraglos bloß ein (vielleicht monumentales) ›Buch‹ oder zweifelsfrei nur ein (womöglich suspektes) Journal vor uns. Meist tummeln sich die
Druckerzeugnisse jener Epoche in einem Dazwischen, präsentieren sie sich weder allein buchförmig noch lediglich journalartig auf literarischen Märkten, und solche Zwittrigkeit stellen sie häufig spielerisch aus. Diesen Sachverhalt und seine Folgen für Textwahrnehmung und -archivierung sucht das vorliegende Heft an aufschlußreichen Fällen zu vermessen: an der Veröffentlichungshistorie von Heinrich Claurens ›Mimili‹-Erzählung, an den Marketingstrategien des Taschenbuchs ›Vergißmeinnicht‹, an der konzeptionellen Buchartigkeit von Charles Dickens’ periodisch publiziertem ›Martin Chuzzlewit‹, an der Kooperation des ›Pfennig-Magazins‹ mit französischen und deutschen illustrierten Büchern, und an Rezeptionspraktiken, die mit dem ›Cornhill Magazine‹ erprobt und etabliert wurden.
Aktualisiert: 2023-02-02
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Folgt man weiten Teilen der Forschung, scheint sich die Buchförmigkeit von Literatur von selbst zu verstehen. Dabei werden literarische Texte seit der Medienrevolution des 18. Jahrhunderts, zumal im Bereich der Erzählliteratur, dominant in einer anderen Veröffentlichungsform erstpubliziert und rezipiert: im Journal, d.h. in Literaturzeitschriften, Unterhaltungs- und illustrierten Familienblättern, in Tageszeitungen und anderen periodischen Publikationsformen. Der gänzlich differente mediale Aggregatzustand, in dem Literatur unter den Formatbedingungen des Journals lieferungsweise, unabgeschlossen, in der Fläche der Zeitschriften- oder Zeitungsseite neben, über, unter anderen (Fortsetzungs-)Texten erscheint, bleibt ihr nicht äußerlich, sondern konditioniert vielmehr in spezifischer Weise ihre zeitgenössische Rezeption. Das betrifft nicht nur vergessene oder als zweitrangig abgewertete Texte, sondern gerade einen erheblichen Teil der (noch nicht durch Kanonisierung medial isolierten) ›Werke der Hochliteratur‹ und hat eine in ihrem strukturbildenden Potential erst noch zu entdeckende Vorgeschichte, die bis zu den Moralischen Wochenschriften zurückreicht.
Der vorliegende Band versammelt Beiträge, die terra incognita aus germanistischer Sicht in einem Werkstattgespräch an der Ruhr-Universität Bochum im Mai 2012 exemplarisch zu erkunden unternommen haben und sich als Vorstudien zu einem größeren Forschungsprojekt zur Journalliteratur begreifen.
Aktualisiert: 2023-02-13
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