Zhaoyang Chen ist ein Kind der chinesischen Kulturrevolution.
Im Alter von sieben Jahren muss er mit ansehen, wie seine liebsten Lehrer und Lehrerinnen öffentlich an den Pranger gestellt, beschimpft, bespuckt und geschlagen werden. Als er zehn Jahre alt ist, verschwindet sein eigener Vater für mehrere Jahre in einem Gefängnis. Am eigenen Leib bekommt er daraufhin die Sippenhaft zu spüren, die ihn als Sohn eines vermeintlichen Konterrevolutionärs zum Freiwild macht. Er übersteht den grausamen Alltag, der von politischen Kampagnen und blutigen Gemetzeln überschattet ist, indem er sich mithilfe verbotener Bücher und Grammofonplatten in andere Welten flüchtet: In der klassischen europäischen Literatur, Musik und Malerei findet er eine Gegenwelt, in der die Kunst, die Schönheit und die Ideale der bürgerlichen Aufklärung hochgehalten werden, die „der Große Führer Mao Zedong“ gerade aufs Grausamste bekämpft, um sie mit Stumpf und Stiel auszurotten.
Ein englisches Schulbuch öffnet dem 13-Jährigen ein Fenster zur Welt jenseits der chinesischen Grenze, und er fragt sich, weshalb die Menschen in Großbritannien auch ohne Dikatur des Proletariats ein so viel besseres Leben führen als die Menschen im eigenen Land. Und warum sollte ausgerechnet China, das nicht einmal seine eigenen Bewohner vernünftig ernähren kann, diese Menschen „aus Armut und Elend“ befreien? Getrieben vom Wunsch, einmal die Werke eines Shakespeare, Lord Byron oder Yeats ins Chinesisch zu übersetzen, lernt der Autor wie ein Besessener und schafft die Aufnahme an eine der wenigen Elite-Universitäten des Landes. Doch anstatt seines Wunschfachs Anglistik muss er dort Germanistik studieren. Warum nur soll er ausgerechnet diese furchteinflößende Sprache lernen, die er lediglich aus Filmen kennt, in denen brüllende Deutsche in Uniform Menschen mit Gewehrsalven niedermähen? Auf welche Weise die deutsche Sprache seinen Lebensweg bestimmen wird, kann er freilich nicht erahnen, als er sein Studium in Nanking aufnimmt.
Aktualisiert: 2020-07-20
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Zhaoyang Chen ist ein Kind der chinesischen Kulturrevolution.
Im Alter von sieben Jahren muss er mit ansehen, wie seine liebsten Lehrer und Lehrerinnen öffentlich an den Pranger gestellt, beschimpft, bespuckt und geschlagen werden. Als er zehn Jahre alt ist, verschwindet sein eigener Vater für mehrere Jahre in einem Gefängnis. Am eigenen Leib bekommt er daraufhin die Sippenhaft zu spüren, die ihn als Sohn eines vermeintlichen Konterrevolutionärs zum Freiwild macht. Er übersteht den grausamen Alltag, der von politischen Kampagnen und blutigen Gemetzeln überschattet ist, indem er sich mithilfe verbotener Bücher und Grammofonplatten in andere Welten flüchtet: In der klassischen europäischen Literatur, Musik und Malerei findet er eine Gegenwelt, in der die Kunst, die Schönheit und die Ideale der bürgerlichen Aufklärung hochgehalten werden, die „der Große Führer Mao Zedong“ gerade aufs Grausamste bekämpft, um sie mit Stumpf und Stiel auszurotten.
Ein englisches Schulbuch öffnet dem 13-Jährigen ein Fenster zur Welt jenseits der chinesischen Grenze, und er fragt sich, weshalb die Menschen in Großbritannien auch ohne Dikatur des Proletariats ein so viel besseres Leben führen als die Menschen im eigenen Land. Und warum sollte ausgerechnet China, das nicht einmal seine eigenen Bewohner vernünftig ernähren kann, diese Menschen „aus Armut und Elend“ befreien? Getrieben vom Wunsch, einmal die Werke eines Shakespeare, Lord Byron oder Yeats ins Chinesisch zu übersetzen, lernt der Autor wie ein Besessener und schafft die Aufnahme an eine der wenigen Elite-Universitäten des Landes. Doch anstatt seines Wunschfachs Anglistik muss er dort Germanistik studieren. Warum nur soll er ausgerechnet diese furchteinflößende Sprache lernen, die er lediglich aus Filmen kennt, in denen brüllende Deutsche in Uniform Menschen mit Gewehrsalven niedermähen? Auf welche Weise die deutsche Sprache seinen Lebensweg bestimmen wird, kann er freilich nicht erahnen, als er sein Studium in Nanking aufnimmt.
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