Der bundesdeutsche Kinder- und Jugendbuchmarkt verlangte von DDR-Autoren nach der Wende eine völlig neue Ausrichtung. Gelang es diesen Autoren, den neuen Anforderungen zu genügen? Im Fokus dieses Buches stehen Untersuchungen zu Christa Kożik, Wolf Spillner, Jutta Schlott, Peter Abraham, Uwe Kant und Günter Saalmann.
Aktualisiert: 2020-09-01
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Die Kindheit spielte in der pädagogischen Provinz DDR eine erhebliche politische und ideologische Rolle. Über Kindergärten, Schulen, Sportvereine und sogenannte Kinder- und Jugendorganisationen griff der Staat in umfassender Kontrolle zu, um die Vermittlung eines „sozialistischen Menschenbildes“ und damit den Fortbestand des Staates sicherzustellen. Der Kinderliteratur kam bei diesem Bestreben eine nicht unerhebliche Bedeutung zu, wenn sich auch der ideologische Anspruch an eine sozialistische Kindheit mit jedem Jahrzehnt von 1949 an wandelte. Erwin Strittmatters Jugendroman Tinko steht repräsentativ für die 1950er Jahre, Alfred Wellms Kaule für die 1960er. Benno Pludra schrieb in den 1970ern das Kinderbuch Insel der Schwäne, Christa Kožik verfasste in den 1980ern Der Engel mit dem goldenen Schnurrbart. Anne-Katrin Nelke beleuchtet diese Werke beispielhaft aus erziehungs- und literaturwissenschaftlicher Sicht und verortet sie in den gängigen kulturpolitischen Rahmenbedingungen. Im Fokus der interdisziplinären Untersuchung steht dabei das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Individuum, zwischen einem politischen System und den Heran- wie Hineinwachsenden. Überdies spiegeln die vorliegenden Fallstudien die allgemeine Entwicklung der DDR-Literatur als einen Prozess zunehmender Subjektivierung.
Aktualisiert: 2020-11-16
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In der DDR herrschte eine außergewöhnliche Fülle an Kinder- und Jugendliteratur. Zwischen 1949 und 1989 existierten dort vierzehn Kinderbuchverlage, deren Palette vom Bilderbuch für Kleinkinder über Märchen und Sagen bis zum Roman für Heranwachsende alles umfasste. Zentralverlag für Kinderliteratur der DDR war der Kinderbuchverlag Berlin, der auch Kinderlexika, Sachbücher und Publikationen zur Geschichte und Theorie des Kinderbuchs sowie die Fachzeitschrift Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur herausgab. Außerdem wurden in der DDR zehn Kinderzeitungen und -zeitschriften publiziert, angefangen vom beliebten Bummi für die Kleinsten bis zu populärwissenschaftlichen Schüler- und Jugendmagazinen. Dass die Kinder- und Jugendbücher der DDR auch unter den Erwachsenen ihre Fans hatten, zeugt sowohl von ihrer literarischen Qualität als auch von ihrer künstlerisch wertvollen Gestaltung.
Aller Anfang ist schwer, und das trifft auch auf die Entwicklung der Kinder- und Jugendliteratur in der Nachkriegszeit zu. Materielle und wirtschaftliche Voraussetzungen hat es dafür im östlichen Deutschland kaum gegeben. Die Produktionsmittel waren zerstört, ungeheure Reparationskosten mussten beglichen werden und Millionen Menschen wieder ein Dach über dem Kopf haben. Die Knappheit ökonomischer Ressourcen war in der DDR noch jahrzehntelang zu spüren und machte sich unter anderem im Papierkontingent der Verlage bemerkbar. Begünstigend wirkte hingegen das kulturpolitische Umfeld: Sowohl die sowjetische Militäradministration als auch die DDR-Regierung hatten den Auftrag erteilt, für Kinder eine Literatur im Geist humanistischer Traditionen zu entwickeln. Hierbei ging es vor allem darum, die nationalsozialistische Ideologie zu tilgen. Bereits ein Jahr nach Kriegsende wurde der Verlag Neues Leben gegründet, der Bücher für Jugendliche und junge Erwachsene herausgab. 1949, im Gründungsjahr der DDR, nahm der Kinderbuchverlag Berlin seine Arbeit auf. Dieser Verlag wahrte sowohl die Tradition der deutschen proletarisch-revolutionären als auch der sowjetischen Kinderliteratur. Seine erste Publikation war Der verwunschene Sokrates, eine antimilitaristische Satire aus den Kalendergeschichten Bertolt Brechts, illustriert von Franz Haaken. Kinder- und Jugendliteratur ist desweiteren in einer Reihe von Privatverlagen erschienen, wobei der Verlag Lucie Groszer und der Alfred Holz Verlag besonders hervorzuheben sind. Abgesehen von Bilderbüchern für die Kleinsten waren die beherrschenden Themen hier wie dort der Widerstandskampf gegen die Nationalsozialisten und die Aufbauarbeit. Werke der proletarisch-revolutionären Kinder- und Jugendliteratur der 1920er und 30er-Jahre wurden ebenso herausgegeben wie Texte mit antifaschistischer Thematik, die während des Naziregimes in Deutschland oder im Exil entstanden sind. Zu diesen gehören Auguste Lazars Sally Bleistift in Amerika (1935, Neuauflage 1948) und Alex Weddings Das Eismeer ruft (1936, Neuauflage 1948). Die gebürtige Salzburgerin, die eigentlich Grete Weiskopf hieß, kehrte nach Jahren des Exils 1953 nach Berlin zurück und lebte dort bis zu ihrem Tod. Ihr erstes Kinderbuch, Ede und Unku (1931), wurde 1954 in der DDR wieder aufgelegt und zur Pflichtlektüre für die Oberschule.
1954 erschienen zwei Bücher, die zum Wegbereiter der künftigen DDR-Kinderliteratur und zugleich zum Maßstab ihrer Qualität geworden sind: Ludwig Renns Roman Trini, dessen Handlung im mexikanischen Bauernkrieg von 1910 bis 1920 spielt, sowie Erwin Strittmatters Gegenwartsroman Tinko. Beide Autoren erhielten 1955 den Nationalpreis der DDR für Kunst und Literatur. Dass der international bekannte Renn in seinen späten Jahren Bücher für Kinder schrieb, galt als beispiellos. Nach und nach konnten auch andere namhafte Schriftsteller für die Kinderliteratur gewonnen werden, und so kam es, dass fast jeder von ihnen auch etwas für Kinder geschrieben hat: Werner Heiduczek, Stefan Heim, Christoph Hein, Stephan Hermlin, Wera und Claus Küchenmeister, Friedrich Wolf – das sind nur einige Namen. Ende der fünfziger Jahre begann in der Kinderliteratur der DDR ein Wandel: Das Kind wurde allmählich als ein eigenständiges, gleichberechtigtes Individuum begriffen, dessen kindliche Verwirklichung nicht mehr untrennbar mit dem „Aufbau des Sozialismus“ verbunden ist. Die neuen Helden entdecken den Alltag mit seinen Widrigkeiten und Widersprüchen, haben Probleme in Schule und Familie, tragen Konflikte aus. Entwicklungstendenzen der Kinder- und Jugendliteratur gingen in den 1970er und 80er-Jahren ins Skurrile und Utopische (Hannes Hüttner: Das Blaue vom Himmel, 1974). Auch ökologische Fragen kamen zur Sprache (Wolf Spillner: Die Wasseramsel, 1987). Nach der politischen Wende 1989 brachen den meisten Kinderbuchautoren die Verlage weg, die Buchhandlungen wollten ihre Titel nicht mehr haben und zu Buchlesungen wurden sie – zu mindestens im Osten – kaum noch eingeladen. Nach und nach fanden sie ihre Sprache wieder.
Die besondere Aufmerksamkeit der DDR-Kinderbuchverlage galt der Buchkunst. Die meisten Künstler, die für Kinder gezeichnet und gemalt haben, waren gar keine ausgesprochenen Kinderbuchillustratoren. Sie haben vor allem Bücher für Erwachsene, Zeitschriften, Zeitungen und anderes mehr illustriert oder waren in der Gebrauchswerbung tätig. Für Kinder arbeiteten die besten Maler und Grafiker, denn das Buch wurde als Gesamtkunstwerk begriffen. Zu den ganz Großen gehören Hans Baltzer, Werner Klemke, Klaus Ensikat, Erich Gürtzig und Eberhard Binder. Namen wie Manfred Bofinger, Gerhard Lahr, Egbert Herfurth, Erika Klein und Gertrud Zucker sind ebenfalls ein Begriff, nicht zu vergessen die äußerst produktive Ingeborg Meyer-Rey. Nach dem Ende der DDR standen auch die Illustratoren völlig neuen Herausforderungen gegenüber. Die meisten hatten von heute auf morgen ihre Verlage verloren. Sie mussten zudem erfahren, dass handwerkliches Können nicht mehr das A und O war und allein der zu erwartende Umsatz darüber entschied, ob ein Buchprojekt realisiert wurde oder nicht. Auf einmal gab es in den Verlagen keine Gestaltungsabteilungen mehr und auch kein Lektorat für Illustration, ganz zu schweigen von einem künstlerischen Leiter. Dennoch ist es nach der politischen Wende zahlreichen Illustratoren gelungen, wieder Fuß zu fassen und neue Titel zu produzieren.
Das vorliegende Buch ist kein Nachschlagewerk und erhebt auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vorgestellt werden beliebte Kinderbuchautoren der DDR, deren Leben und Schaffen mit Berlin und der Mark Brandenburg verbunden war und ist. Unter ihnen sind auch einige Illustratoren, die selbst Bilderbuchtexte verfasst oder Geschichten erzählt haben. Der Einblick in ihr Leben und Werk ist gleichzeitig eine Hommage an die Kinderliteratur der DDR, die nicht nur Generationen (ost)deutscher, sondern auch ausländischer Kinder begeistert hat und zu einem gleichberechtigten Teil der Nationalliteratur geworden ist. Den Schöpfer seines Lieblingshelden wieder zu entdecken gleicht einer Reise in die eigene Kindheit. Und wer schwelgt nicht gern ein wenig in Nostalgie?
Aktualisiert: 2020-12-12
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Ostdeutsche Kinder- und Jugendbuchautoren waren nach der Wende gänzlich neuen Produktionsbedingungen ausgesetzt. «Der Kapitalismus muss gelernt werden ...» So formulierte es 2010 die ehemalige Cheflektorin des Kinderbuchverlags der DDR Katrin Pieper. Selbst renommierten Autorinnen und Autoren Ostdeutschlands ist dieser Lernprozess nur ansatzweise gelungen, sofern sie sich überhaupt darauf einlassen wollten. Den Strukturen des bundesdeutschen Kinder- und Jugendbuchmarkts entsprach ein Anforderungsprofil, dem die einst erfolgreichen DDR-Literaten kaum gerecht werden konnten. Im Zentrum der vorliegenden Studie steht das literarische Schaffen von sechs DDR-Autoren vor und nach der Wende von 1989/90: Christa Kożik, Wolf Spillner, Jutta Schlott, Peter Abraham, Uwe Kant und Günter Saalmann.
Aktualisiert: 2023-04-07
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