In dieser provozierenden und zugleich aufmunternden Art ist noch kaum über das Kochen und das Essen geschrieben worden. Allen telegenen Kochparanoien und globalen Vermischungen zum Trotz wagt der Sozialwissenschaftler und Philosoph Klaus Kufeld den Schritt, dem Denken dessen, was man ißt, der Seele dessen, was unsere Eßlust ausmacht, und schließlich dem Eros, der auf das gesellige Ritual abhebt, auf den Grund zu gehen. Die Modetrends von Crossover-Küche und ideologisierte Bio-Romantik werden gegen den Strich gebürstet und sozusagen „entzaubert“ derart, dass er den authentischen Charme des Lokalen ebenso wie die Bereicherungen durch Koch- und Eßkunst anderer Kulturen herausarbeitet. Was in Vielfalt und Differenz sogar einen kulturphilosophischen Hintergrund haben mag, wird in dem reichhaltigen Themen-Menü durchaus als „leichte Kost“ serviert und in Alltagsgeschichten verpackt, die den Leser mit eigenen Erfahrungen und Erinnerungen vergleichen lassen. Der Autor beugt dabei geschickt einer Sicht vor, als Kochprofi zu gelten, der er nicht ist und auch nicht sein will, z.B. indem er zu einem Freund sagt: „Ich muß doch kein Olympiasieger sein, wenn ich gute Sportreportagen schreibe. Das Buch […] ist kein Kochbuch, keine Ernährungslehre, keine Rezeptsammlung, kein Eß-Knigge und keine ökotrophologische Diät; es täuscht keine Kochkünste vor und kocht nichts nach, wovon das Fernsehen inzwischen übervoll geworden ist. Und doch will es einmal hinter die Kulissen leuchten. Ich werde mich dem lustvollen Kochen und Essen annähern und erzähle nebenbei einfach Geschichten. Dialogische Geschichten mitten aus dem Leben, Anekdoten und Gespräche über gelungenes Kochen, über Geselligkeit, über Essen mit Kindern, über Essen und Liebe, über das Ankommen des guten Essens in glücklichen Seelen.“ Trotzdem oder gerade deswegen sollte der „kulinarische Eros“ auch die Profiwelt des Kochens auf den Plan rufen und manchen Fernsehkonsumenten zum Nachdenken bewegen („Den Unterschied zwischen Petersilie und Koriander muß der „Zuschauerkoch“ irgendwann doch ausprobieren, sonst bleibt er eine Behauptung im Fernsehen.“)
So ganz nebenbei werden die Entdeckungen des „kulinarischen Eros“ ein Reisebuch. Erst in der achtsamen Wahrnehmung der Koch- und Eßvielfalt unserer Welt – der Autor bringt viele Beispiele aus Kolumbien, von den Seychellen, aus Indien, China oder von anderswo –, entdecken wir das uns alle Verbindende (z.B. im Brot, in der Suppe, im Kaffee) wie auch das wirklich Andere (z.B. im Chili, in den Früchten, im chinesischen Eßritual), um schließlich das wahre Eigene im Lokalen wieder schätzen zu lernen und zu kultivieren. Die Kunst von Kufelds kulinarischer Entdeckungsreise liegt schließlich darin, daß der Wert einfacher Spaghetti oder des österreichischen Kaiserschmarrns etwa nicht gemindert, sondern gar exklusiv erscheint. Nicht zuletzt vergißt Kufeld bei aller Luxuriosität des Kochens und des Essens die Armen auf unserer Erde nicht, exemplarisch anhand einer Geschichte über Straßenkinder in Phnom Penh („Während die einen Michelin-Sterne zählen, zählen die anderen ihre Reiskörner“). Auch das gehört zum „Denken“ dessen, was und wie man kocht und ißt, ohne daß einem der Appetit dabei vergeht, ganz nach dem Motto Ernst Blochs: „Feine Zungen und feiner Kopf gehen oft gut zusammen.“ Das Besondere am „kulinarischen Eros“ ist zweifellos, dass das Buch zugleich Tiefe und Leichtigkeit hat, dass es Lust macht auf Ferne bzw. nostalgisches Erinnern wie auch auf das Zuhausebleiben. Mal reflektiert Kufeld den Stoff, mal erzählt er einfach lebenslustige Geschichten, die so richtig Appetit aufkommen lassen. Mehr als nur in Fußnoten runden zehn (z.T. eigene) Rezepte aus verschiedenen Kontinenten das Buch authentisch ab. Der Wiener Professor Michael Daxner reflektiert in einem eigenwilligen Nachwort gekonnt, provokativ und philosophisch über den Stoff, über den sich, wie über das Kochen und Essen überhaupt, trefflich streiten läßt: Daxner: „Kufeld macht hungrig und er macht Appetit. Ich esse mich sozusagen durch sein Buch, schon beginnt die Umstellung der Speisefolge, was trinke ich dazu am Besten?“
Aktualisiert: 2023-01-31
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