Caudophagie bei Schweinen stellt ein großes Problem in schweinehaltenden Betrieben dar. Die betroffenen Schweine erleiden durch die Bissverletzungen erhebliche Schmerzen, Leiden und Schäden. Zudem entstehen in den landwirtschaftlichen Betrieben hohe wirtschaftliche Verluste. Als Präventionsmaßnahme gegen die Caudophagie wird seit Jahren ein routinemäßiges Kupieren der Schwänze durchgeführt. Wissenschaftlich wurde belegt, dass das Auslösen der Caudophagie von vielen unterschiedlichen und komplexen Faktoren abhängt, welche aber noch nicht hinreichend erforscht sind. Daher wurden in der vorliegenden Studie zwanzig Schweinemastbetriebe aus NRW anhand von veterinärmedizinischen Datenerhebungen der amtlichen Tierärzte eines Schlachthofs ausgewählt. Unter Berücksichtigung des Auftretens pathologischer Befunde wie Schwanzspitzennekrosen, Beckenabszessen, Schwanzansatzabszessen und Kotelett-Wirbelsäulenabszessen, die als Folge von Caudophagie gewertet wurden, folgte die Unterteilung der Mastbetriebe in Niedrig-Risiko-Betriebe (NRB) und Hoch-Risiko-Betriebe (HRB). Zehn Mastbetriebe, bei denen in den letzten 1,5 Jahren keine Anzeichen von Schwanzbeißen (0 %) am Schlachtband dokumentiert wurden, wurden als NRB eingestuft. Weitere zehn Mastbetriebe, die aufgrund der Schlachtdaten Schwanzveränderungen zwischen 1 und 5 % bei den gelieferten Schweinen zeigten, wurden als HRB eingestuft. Ziel der Arbeit war es, mögliche Wechselbeziehungen zwischen Auffälligkeiten im Gastrointestinaltrakt und Verletzungen des Schwanzes aufzuarbeiten. Im Fokus der Studie standen daher die Fütterung der Schweine und pathologische Veränderungen des Magen-Darm-Trakts der untersuchten Tiere. Da Caudophagie ein multifaktorielles Geschehen darstellt, wurden anhand eines Evaluationsbogens auch die bekannten prädisponierenden Faktoren für Caudophagie geprüft. Im Vordergrund standen dabei das Futtermanagement, hier insbesondere die Futterzusammensetzung und die möglichen Auswirkungen auf die Magen-Darm-Gesundheit. Die post mortem Untersuchung an den Schlachtkörpern bildete die Grundlage der Untersuchung.
Das Ergebnis der Datenerhebung zeigte, dass die Anforderungen an das Platzangebot, das Licht, die Tränken und das Beschäftigungsmaterial grundsätzlich den gesetzlich geforderten Mindestnormen entsprachen und teilweise sogar darüber hinausgingen. Es zeigten sich keine Hinweise als auslösende Faktoren der Caudophagie. Fütterungstechnik und das Tier : Fressplatzverhältnis waren anhand des gesetzlichen Rahmens nicht zu beanstanden.
Die betriebliche Therapiehäufigkeit anhand der Angaben aus der Antibiotikadatenbank (erstes Halbjahr 2015) ergab, dass die HRB höhere Therapiehäufigkeiten aufwiesen. Als Ursachen für den Antibiotikaeinsatz wurden Caudophagie, Ohrrandnekrosen, Lungenerkrankungen und Gelenkserkrankungen genannt
Von neun NRB und zehn HRB konnten Proben von Endmastfuttermitteln für weitere Analysen gezogen werden. Im Anschluss wurden eine Siebanalyse, eine Weender Futtermittelanalyse und eine Faserbestimmung nach van Soest durchgeführt. Die Siebanalyse der Futtermittel aus den HRB und NRB ergab ein ähnliches Verteilungsmuster der Partikelgrößen. Zu feine Partikel (< 0,1 mm) wurden in keinem Futter festgestellt. Durch eine zu geringe Partikelgröße wird eine Verflüssigung des Mageninhaltes bewirkt. Durch eine daraus resultierende homogene Durchmischung des Mageninhaltes werden in allen Bereichen des Magens ähnliche pH-Werte erzielt. Eine Abstufung der pH-Werte mit einem erhöhten pH-Wert in der Pars nonglandularis und niedrigeren pH-Wert in der Fundusdrüsenzone ist nicht vorhanden. Zu fein vermahlenes Futter kann die Entstehung von Magengeschwüren in der Pars nonglandularis unterstützen (Maxwell, 1970; Kamphues, 1988; Regina et al., 1999; Friendship, 2006).
Die Nährstoffgehalte der Futtermittel aus den HRB und NRB zeigen keine Unterschiede. Der Rohfasergehalt im Futter aus den NRB lag tendenziell höher (p = 0,065) als im Futter der HRB. Von vier NRB und acht HRB wurden Futtermittelanalysen bzw. –deklarationen vorgelegt. In den HRB und NRB zeigten die Rohproteingehalte keine Unterschiede (HRB 17,9 ± 1,04 %; NRB 17,9 ± 1,34 %, p = 0,963). Der Rohfaseranteil in HRB (5,05 ± 0,53 %) zeigte niedrigere Werte (p = 0,109) als in den NRB (5,56 ± 0,53 %). Der Rohfaseranteil lag in der durchgeführten Futtermittelanalyse deutlich niedriger als in den Futtermittelanalysen/Futtermitteldeklarationen der Betriebe. Hingegen konnten beim Rohproteingehalt in den Nährstoffanalysen höhere Werte gemessen werden als die Futtermitteldeklaration angab. Bei der Messung der Konzentrationen der kurzkettigen Fettsäuren im Magen- und Caecuminhalt wurden keine Unterschiede festgestellt.
Ein weiterer Kernpunkt der Studie stellte die pathologisch-anatomische Untersuchung der Schlachttiere dar. Es wurden insgesamt vierzig Schweine untersucht und beprobt. Aufgrund der Datenerhebungen des Schlachthofs zu den teilnehmenden Betrieben wurden die angelieferten Mastschweine aus den HRB in drei Kategorien (gesunde Schweine ohne Schwanzläsionen, Schweine mit akuten Schwanzläsionen und Schweine mit chronischen Läsionen) eingeteilt. Von jedem NRB wurde ein gesundes Schwein für die Studie untersucht.
Es wurden zehn Schweine aus den NRB und dreißig Schweine aus den HRB (pro Betrieb je ein gesundes, ein Schwein mit akuten Läsionen und ein Schwein mit chronischen Läsionen) untersucht und beprobt. Ein Teilaspekt stellte die pathologisch-anatomische Untersuchung des Magens, des Jejunums, des Ileums, des Caecums und des Colon ascendens, sowie des Herzens, der Leber und der Lunge dar. Bei den untersuchten Schweinen der HRB konnte in der pathologisch-anatomischen Untersuchung adspektorisch festgestellt werden, dass sechsundzwanzig Mägen (87 %) pathologische Veränderungen in Form von hochgradig geröteten Schleimhäuten und hochgradigen Fibrinauflagerungen der Magenschleimhaut aufwiesen. Bei zehn Mägen (30 %) konnten Magenulcera in der Pars nonglandularis ermittelt werden. An den insgesamt zehn untersuchten Schweinen der NRB konnte in der pathologisch anatomischen Untersuchung adspektorisch an fünf Mägen (50 %) Veränderungen in Form von hochgradig geröteten Schleimhäuten und Fibrinauflagerungen diagnostiziert werden, davon war bei einem Magen ein Ulcus in der Pars nonglandularis sichtbar.
Haptoglobin (Hp) im Serum stellt bei Schweinen einen Entzündungsmarker dar. Deshalb wurden bei achtzehn Schweinen Blut direkt nach dem Entbluteschnitt aufgefangen und mittels Kapillarelektrophorese auf Haptoglobin untersucht. Die Haptoglobinwerte der Schweine ohne Läsionen und mit akuten Läsionen der HRB lagen höher als bei Schweinen ohne Läsionen der NRB. Diese Ergebnisse entsprachen auch den pathologischen Befunden der Geschlinge und des Magen-Darm-Traktes, die makroskopisch auf ein entzündliches Geschehen hinwiesen.
Die Bestimmung der relativen Genexpressionsrate der Immunparameter TLR-5, IL-8, IL-10, IL-17 sowie des Natürlichen Killerzellen Rezeptors NKG2D, erfolgte mittels qRT-PCR mit Gesamt-RNA aus jejunalem Gewebe. Als Kontrollgruppe wurden bei dieser Untersuchung alle in dieser Studie beprobten gesunden Schweine (aus NRB und HRB; insgesamt zwanzig Tiere) herangezogen.
Es ergaben sich keine deutlichen Tendenzen bezüglich der Genexpression der immunologischen Parameter. Eine leicht erhöhte Expression der entsprechenden Gene wurden in der akut betroffenen Gruppe bei TLR5, NKG2D und IL8 beobachtet, während die Tiere mit chronischen Läsionen eine insgesamt numerisch oder signifikant verringerte Expression aufwiesen. Es kann spekuliert werden, dass Tiere mit akuten Läsionen im Darm eine höhere antimikrobielle Immunantwort zeigen, da TLR5, NKG2D und IL8 insbesondere auf Mikroorganismen reagieren. Währenddessen scheint bei Tieren mit chronischen Läsionen insgesamt eher eine Herabregulierung aller gemessener immunrelevanten Gene vorzuliegen.
Für die histologische Untersuchung wurden in jeder Gruppe Abschnitte des distalen Jejunums und des Colon ascendens beprobt und anschließend Hämatoxylin-Eosin- Schnitte gefertigt.
Jede Probe des Jejunums wurde auf die Parameter Hyperplasie/ Metaplasie der Becherzellen, degenerative Veränderungen der Darmzotten, Entzündungen in der Lamina propria, kapilläre Stauung, Ödeme, Entzündungen des gesamten Darmgewebes, Entzündungen in der Mukosa und Submukosa, sowie Entzündungen der Kryptendrüsen untersucht.
Im Ergebnis wurde deutlich, dass die Gruppe der Schweine mit chronischen Läsionen tendenziell höhere Scores aufwiesen als die Gruppen HRB gesund und NRB gesund. Auch bei den Schweinen mit akuten Läsionen aus HRB konnte man im Gegensatz zu den gesunden Tieren ansteigende Scorewerte feststellen.
Jede Probe des Colon ascendens wurde auf die Parameter epitheliale degenerative Veränderungen, Entzündungen in der Lamina propria, kapilläre Stauung, Entzündungen des gesamten Darmgewebes sowie Entzündungen in der Mukosa und Submukosa untersucht.
Entzündungen wurden anhand des Aufkommens an mononukleären und granulozytären Zellinfiltraten bewertet. Das Ergebnis veranschaulicht, dass tendenziell höhere Werte bei den chronischen Läsionen und akuten Läsionen festgestellt werden konnten. Die gesunden Schweine der NRB wiesen die niedrigsten Werte auf. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchungen haben aufgrund einer relativ geringen Zahl von untersuchten Beständen eher einen orientierenden Charakter. Sie bieten interessante Anhaltspunkte, dass es vornehmlich bei akuten und chronischen Läsionen aus HRB zu Veränderungen der Darmschleimhaut kommt, die im Sinne einer Inflammation zu werten sind. Daher könnte ein Zusammenhang zwischen der Veränderung der Darmintegrität mit Verhaltensänderungen bzw. Schwanzbeißen bestehen. Diese Hypothese bedarf jedoch weitere Untersuchungen, insbesondere auch die Einbeziehung von einer größeren Anzahl an Betrieben.