Digitalisierung und Transformation

Digitalisierung und Transformation von Banse,  Gerhard, Busch,  Ulrich, Thomas,  Michael
Informatisierung und Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft erweisen sich immer mehr als bestimmend für den umfassenden gesellschaftlichen Wandel im 21. Jahrhundert. Überall sind durch technische Innovationsprozesse induzierte Veränderungen in der Arbeits- und Lebenswelt auszumachen, die nicht nur einer theoretischen Aufarbeitung und Interpretation bedürfen, sondern zunehmend auch finden. Der Arbeitskreis „Gesellschaftsanalyse“ der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin e.V. verfolgt seit drei Jahren ein Programm, in dem Fragen der Gesellschaftstransformation in der Gegenwart im Zentrum stehen. Beredtes Zeugnis dafür ist unter anderem die Publikation des zweibändigen Werkes „Transformation im 21. Jahrhundert“ als Band 39 der „Abhandlungen der Leibniz-Sozietät“ im Jahr 2015. Die systematische Beschäftigung mit Problemen der Transformation ist notwendig, so eine unserer Grundannahmen, mit historischer Kontextualisierung verbunden. Das schließt folglich konsequent eine Auseinandersetzung mit den Prozessen und den wirtschaftlichen wie sozialen Folgen der Digitalisierung ein: Ein hinreichendes Transformationskonzept muss die für eine Gesellschaftstransformation ursächlichen Prozesse in Technik, Wirtschaft und Gesellschaft erfassen, analysieren und darstellen. Dazu hat der Arbeitskreis am 11. November 2016 einen von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin unterstützten interdisziplinären Workshop veranstaltet. Damit – wie generell angesichts der thematischen Komplexität – schien es uns angemessen, dieses Vorhaben als ein übergreifendes der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften anzulegen. Das hat sich für den Workshop, etwa durch die direkte Unterstützung des Präsidiums der Sozietät, sehr positiv ausgewirkt und sollte – so ein systematisches Ergebnis aus den Debatten – strategisch wie perspektivisch beibehalten werden. Die Ergebnisse dieses Workshops werden hier nun, erweitert und ergänzt um weitere Beiträge zu dieser Thematik, vorgestellt und einem größeren Publikum bekannt gemacht. Für den Workshop konnten ausgewiesene Referentinnen und Referenten gewonnen werden, die sowohl den state of the art zu Digitalisierung und Informatisierung wie die transformationsspezifischen Herausforderungen und Konsequenzen herauszuarbeiten vermochten. Da sich an der Publikation – wie bereits genannt – weitere namhafte Wissenschaftler beteiligten, liegt nunmehr eine umfassende Synopse zum Thema „Digitalisierung und Transformation“ vor. Das Buch ist in drei Teile gegliedert: Der erste Teil ist überschrieben mit „Digitalisierung der Wirtschaft und digitalisierte Gesellschaft – Zur gesellschaftstheoretischen Verortung eines gravierenden Umbruchs“. Er umfasst fünf Beiträge, die mit unterschiedlichen Zugängen eine solche Verortung vornehmen. Der zweite Teil trägt die Überschrift: „Digitalisierung und Industrie 4.0 – technisch-technologische Parameter, Industrie und Arbeitswelt im Wandel“. In ihm sind vier vor allem technisch-philosophisch orientierte Beiträge zum Thema enthalten. Der dritte Teil behandelt Fragen der „Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft – Organisation, Arbeit, Lebenswelt“. Er umfasst ebenfalls vier Beiträge aus vor allem soziologischem Blickwinkel. Die Autorinnen und Autoren des Bandes vertreten unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen, sie gehören Universitäten, wissenschaftlichen und technischen Institutionen an oder kommen aus der Leibniz-Sozietät. Dadurch ist sowohl die für ein derartiges Vorhaben erforderliche Fachkompetenz als auch die notwendige Interdisziplinarität gegeben. Die Beschäftigung mit den Fragen der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft aus den unterschiedlichsten Perspektiven – aus der Sicht der Transformation generell und der einer technischen Umsetzung, aus philosophischer Perspektive und der von Arbeitsgestaltung und Arbeitsorganisation, aus Soziologie und Politikwissenschaft usw. – hat überraschende Einsichten gebracht, zugleich aber auch mehr offene Fragen als abschließende Antworten. Dies wird den Arbeitskreis wie die Sozietät insgesamt stimulieren, auf diesem Gebiet weiter zu forschen und die Debatte zu suchen. Zu den überraschenden Einsichten gehört beispielsweise, dass Digitalisierung und besonders „Industrie 4.0“ eher sehr nüchtern betrachtet werden. Einmal lassen sich erst wenige konkrete Beispiele und tragfähige Ansätze ausmachen, die es rechtfertigen, hier wirklich von einer „Revolution“ zu sprechen, andererseits sind vielleicht die Unterschiede zwischen „Industrie 3.0“ und „Industrie 4.0“ weniger groß als mitunter behauptet. Man darf gespannt sein, wie sich die begonnene Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten fortsetzen wird, inwieweit sich Gestaltungsmöglichkeiten ergeben, welche Folgen dies für die Gesellschaftstransformation haben wird und welche neuen Probleme und Fragestellungen daraus wiederum für die Forschung erwachsen. Die Ernüchterung, die auf dem Workshop sichtbar wurde, ist aber gerade nicht damit verbunden, den stattfindenden „Umbruch“ oder eine durchaus mögliche Prozessdynamik zu unterschätzen. Gerade deshalb, und auch das ist unbedingt festzuhalten, sind sehr aufmerksam Szenarien wie ablaufende Prozesse zu beobachten und zu untersuchen, um so eben zu Gestaltungsmöglichkeiten zu kommen – zu gesellschaftlicher Handlungssouveränität statt scheinbarem technologischen Sachzwang. Dies betrifft einmal die Prozesse in der Industrie, in der Arbeit und in den unterschiedlichen Organisationsformen selbst, dann aber gerade auch die damit verbundenen gesellschaftlichen Handlungskonstellationen, mit denen sich das Transformationsproblem verbindet. Hier wiederum ist zusammenfassend festzuhalten – in mancher Hinsicht gleichfalls durchaus ernüchternd –, dass die zweifellos sich abzeichnenden, z.T. (gerade auch global) schon dynamisch verlaufenden Umbrüche oder Disruptionen wohl weniger das Fenster zu einer Großen Transformation aufmachen, sondern dass sie es eher (vorübergehend?) schließen, und dass sich auch Voraussetzungen für bzw. Einstiege in eine solche Transformation eher verschlechtern bzw. weniger bereits zeigen würden. Es scheint sich mit der Digitalisierung – ähnlich wie für Finanzialisierungsprozesse – eine neue Anpassungsrunde in einem bestehenden gesellschaftlichen Entwicklungspfad zu ergeben, nicht aber ein wirklicher Bruch und Aufbruch. Also weniger die Konturen eines anderen, nachkapitalistischen Gesellschaftsmodells als mehr die eines „digitalen Kapitalismus“. Aus dieser Kontextprägung nunmehr aber auf ein Ende bzw. eine Absage des/an das Transformationsprojekt(es) zu folgern, wäre wissenschaftlich so naiv wie gesellschaftlich fahrlässig. Viele Erschütterungen in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen wie globale Trends, die sich mit Digitalisierung und Informatisierung noch verschärfen können – nehmen wir nur den Klimawandel –, sprechen dafür, dass der Druck auf die leitenden Basisinstitutionen weiter zunimmt. Wie weit deren Verarbeitungskapazität gerade auch angesichts der aufgezeigten Umbrüche reicht, bleibt offen. Eine darauf ausgerichtete interdisziplinäre Forschungsarbeit steht weiterhin auf der Agenda.
Aktualisiert: 2019-12-17
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