Das Geheimnis hinter dem Runenalphabet Für die Sprachwissenschaft sind Runen meist Schriftzeichen v.a. der Germanen sowie einiger anderer Völker. Ihr Zweck wird in der schriftlichen Kommunikation gesehen. Dem entsprechend wurde im Zusammenhang mit den Runen v.a. zu Fragen geforscht, die ihre vermutete Ableitung aus anderen Alphabeten betreffen oder welche die mögliche Entstehung diskutieren. Nur einige wenige Wissenschaftlerinnen stellen den einstigen mythologischen bzw. religiösen Gehalt der Zeichen in den Mittelpunkt ihres Interesses. Das Runenalphabet, welches sicher mehrfach überliefert ist, wird selten auf den Sinn seiner internen Ordnung hin unter-sucht. Die mythologisch oder spirituell interessierten Runenfreunde befassen sich hingegen vorzugsweise mit überlieferten Bedeutungen der sakralen Zeichen. Sie blenden meist wissenschaftliche Forschung aus. Führt man beide Wege, sich den Runen zu nähern, zusammen, ergibt sich ein interessantes Bild. Wir dürfen nicht vergessen: Die Menschen, welche die Runen schufen, unterschieden nicht zwischen „objektiver Wissenschaft“ und „religiöser Bedeutung“. Für sie gehörte beides untrennbar zusammen: die Betrachtung und Verschriftlichung ihrer Welt und ihre mythische Weltsicht. Übernimmt man diese umfassende Sicht, gelangt man zu neuen Fragen und erstaunlichen Erkenntnissen rund um die Runen. Es wird plötzlich deutlich, dass sie als einzelne Zeichen eine lange Geschichte haben, die bis in die Höhlen der Altsteinzeit zurückreicht – und zwar als Symbol und nicht als Schriftzeichen mit Lautwert. Man kann die Traditionen einzelner Zeichen oft über Jahrtausende verfolgen. Das Runenfuthark als spätere planvolle Zusammenstellung sakraler Zeichen hat System. Wenn man dieses erschließt, eröffnen sich Einblicke in die mythische Vorstellungswelt unserer Vorfahren. Das sich entfaltende System ist, wenn man es einmal erkannt hat, sehr klar und einfach und vermutlich kaum von der Hand zu weisen. Daher gehe ich davon aus, einem sehr alten relig-ösen Code begegnet zu sein. Jedoch stimmen etwa 25% der überlieferten Runenbedeutungen nicht mit der offensichtlichen inhaltlichen Gesamtstruktur überein. Mit Hilfe der paläolinguis-tischen Untersuchung der betreffenden Runennamen erkläre ich ihre ursprüngliche Bedeutung und zeige die Vollständigkeit des religiösen Inhalts im Runenfuthark. Es ist wahrscheinlich, dass diese 25% in germanischer Zeit umgedeutet wurden. Hier ein Auszug aus meinem populärwissenschafltichen Buch, der das Gesagte verdeutlicht: Der Sinn der einzelnen Runen und ihr Zusammenspiel Wenn man Bücher über Runen und ihre Bedeutung liest, stellt man schnell fest, dass es so eine Art „Mainstream“ der Interpretationen gibt. Natürlich weichen Autoren der wissenschaftlichen und spirituellen Gefilde hier und auch öfter ein Stückweit davon ab. Hin und wieder gibt es auch regelrechte Kontroversen über die Bedeutung eines Zeichens, v.a., wenn mehrere Interpretationen überliefert sind. Oder –auch das kommt vor- wenn niemand so recht weiß, was eigentlich gemeint ist und wenn daher Spekulationen die Debatte prägen. Aber im Großen und Ganzen gibt es eigentlich fast immer eine Art Grundthema, dem die meisten zustimmen. Man kann es sich wie in einer Gaußschen Glockenkurve vorstellen: Die meisten Ansichten sammeln sich in der Mitte, am Rand wird es dünner mit den Meinungen. Ich stelle hier zunächst einmal tabellarisch die „üblichen“ Deutungen vor, welche meist in Runenbüchern vorangestellt sind und den Lesenden die Orientierung erleichtern sollen. Dabei kann man in aller Regel das Schriftbild einer Rune erkennen, ihren Namen zum ersten Mal lesen und etwas über die inhaltliche Bedeutung erfahren. Den Lautwert, welche die Rune sehr viel später erhielt, habe ich einmal weggelassen, weil er mit dem sakralen Gehalt und den Ursprüngen der Runen nichts zu tun hat. Die von mir ausgewählten Bedeutungen sind ein „Mittel“ der wissenschaftlichen und spirituellen Meinungen, auf die man sich in weiten Kreisen geeinigt hat. Was meistens in solchen Tabellen zwar ersichtlich ist, jedoch beim Deuten oft keine Beachtung findet, sind die Zahlen. Wir sollten sie allerdings im Zusammenhang mit religiöser Symbolik immer mit im Blick haben. Die häufigsten Bedeutungsgebungen für Runen Nummer Rune Namen Bedeutung 1 Fehu/ Fa Feuer/ Vieh 2 Uruz/ Ur Auerochse 3 Thurisaz/ Thorn Riese/ Thor (männliche göttliche Energie) 4 Ansuz/ Os Ase (göttliche Energie) 5 Raidho/ Rit Reiten 6 Kenaz/ Kaunaz Feuer/ Fackel 7 Gebo/ Gyfu Gaben 8 Wunjo/ Wynn Wonne 9 Hagalaz/ Haal Hagel 10 Naudiz/ Niet Not 11 Isa/ Is Eis 12 Jera/ Gear Jahr/ Vollendung 13 Eiwaz/ Eihaz Eibe 14 Perthro/ Peorth ??? viele unterschiedliche Deutungen 15 Algiz/ (Ma) Elch (Mutter) 16 Sowilo/ Sugil Sonne 17 Tiwaz/ Teiwaz Himmelsgott (Tyr) 18 Berkana/ Bjarkan Birke (junge Göttin) 19 Ehwaz/ E(o)h Pferd 20 Mannaz/ Man Mensch 21 Laguz/ Laaz Wasser/ Schicksal 22 Ingwaz/ Enguz Fruchtbarkeitsgott 23 Othala/ Odalaz Heim (Besitz, Erbe) 24 Dagaz/ Daeg Tag Ich möchte Sie an dieser Stelle dazu einladen, sich die Tabelle genau zu betrachten und auf sich wirken zu lassen. Ihnen wird zunächst auffallen, dass stets zwei Namen für dieselbe Rune angegeben sind. Es gibt in verschiedenen germanischen Sprachen unterschiedliche Bezeichnungen für die einzelnen Runen. Ich habe also nur 2 von vielen ausgewählt. Jedoch besteht immer eine deutliche Stammverwandtschaft der Wörter. Und genau um diese Wortstämme werden wir uns im vorliegenden Buch kümmern. Die Endungen sind flexibel, oft fehlen sie ganz. Ich habe deshalb 2 von mehreren möglichen Namen angegeben, damit später in den Kapiteln über die einzelnen Runen leichter Vergleiche zu weiteren stamm-verwandten Wörtern gezogen werden können. Man „klebt“ dann nicht so sehr an einer einzigen Vari-ante. Außerdem stellen Sie natürlich recht schnell fest, dass ich zwei Runen rot gekennzeichnet habe. Ich habe das getan, weil das die beiden Runen sind, die mir die Augen darüber öffneten, dass die heiligen Symbole im Futhark alle inhaltlich miteinander zusammenhängen. Mir fiel dabei dreierlei auf: • Das Sinnbild der Rune KENAZ besteht aus EINEM Winkel. Das Sinnbild der Rune JERA be-steht aus ZWEI solcher Winkel, die gegensätzlich angeordnet sind. KENAZ ist so betrachtet also die Hälfte von JERA. • Die Zahl 6 ist gleichzeitig die Hälfte der Zahl 12. • Dass die Rune mit der Nummer 12 ausgerechnet „Jahr“ bedeutet, wäre ein seltsamer Zufall – wenn es denn überhaupt einer wäre. Also begann ich zu schauen, ob sich hinter den Metaphern der ersten 12 Runen vielleicht der Jahres-kreis verbirgt. Probieren Sie es ruhig selbst einmal. Was stellen Sie fest? Ich sah, dass das zweite Halbjahr recht gut getroffen ist, wenn man die Runennamen als Metaphern für die Monate bzw. die Jahreskreisfeste betrachtet. KENAZ (Feuer/ Fackel) wäre so gesehen eine Metapher für den Juni mit dem Sonnenwendfest. Im Juli schenkt die Natur uns ihre „Gaben“, im August bereitet die Ernte uns „Wonne“ , im September, zur Tag-und Nachtgleiche, beendet der „Hagel“ den Sommer, im Oktober folgt die „Not“, im November das „Eis“ – und schließlich ist im 12. Monat das „Jahr“ vollendet. Tatsächlich machen die beiden Winkel in Jera unter diesem Gesichtspunkt noch einmal deutlicher Sinn: Sie stellen so betrachtet die beiden Halbjahre dar. Aber was ist mit den ersten Monaten? Auch das Feuer in FEHU könnte man mit dem Jahreskreis sehr gut in Einklang bringen: als Sonnenwendfeuer oder als Wiederkehr des Lichts zur Wintersonnenwende, mit der ja so ein Jahr eigentlich beginnt. Selbst THURISAZ, als männliche göttliche Energie begriffen, würde im März eine sehr passende Metapher bilden, wenn wir uns vor Augen halten, dass das Osterfest eigentlich eine alte, naturreligiöse Fruchtbarkeitsfeier ist. Dann müsste jedoch mit ANSUZ die weibliche göttliche Energie gemeint sein, und nicht das germanische Göttergeschlecht der ASEN… Wie gut, dass wir 2 Runennamen in der Tabelle oben vor Augen haben! ANSUZ wird ja auch OS genannt und THURISAZ = THORN. Ja, wenn man unter dieser Maßgabe genau hinsieht, dann erkennt man in den altenglischen Runennamen OS und THORN, dass die beiden zusammen unser Wort OSTERN ergeben! Kann das ein Zufall sein, dass diese Begriffe genau den Übergang vom alten März zum April kennzeichnen, also die Zeit der Frühlings-Tagundnachtgleiche, zu der ursprünglich genau OSTERN gefeiert wurde? Sie sehen es vermutlich selbst: So viele „Zufälle“ gehäuft können im sakralen Geschehen einfach nicht vorkommen. Wir dürfen schließlich davon ausgehen, dass sich die frühen Menschen bei der Zusammenstellung der Runen etwas gedacht haben. Aber was ist mit URUZ? Und wie passt RAIDHO in den Jahreskreis? Nun, angesichts der vielen Übereinstimmungen sind zwei, drei Widersprüche eigentlich nicht viel. Gerade wenn man davon ausgeht, dass die Runennamen und das Futhark über Jahrtausende mündlich weitergegeben wurden. Ich verspreche wohl nicht zu viel, wenn ich denke, ein Angebot zur Auflösung dieser Widersprüche im vorliegenden Buch darzulegen. Und wenn die ersten 12 Runen den Jahreskreis ergeben – was ergeben dann die letzten 12 Runen? Schnell war ich davon überzeugt, dass auch sie dann inhaltlich miteinander verbunden sein würden. Ich war wie elektrisiert. Meine germanistische Neugier war geweckt. Ich wollte hinter dieses Geheimnis kommen und die genannten Rätsel lösen. Daher machte ich mich also ans „Ausgraben“, wie in der Archäologie. Nur dass ich keine materiellen Fundstücke finden würde, sondern Bedeutungen sakraler Symbole. Meine Werkzeuge waren auch nicht Spaten und Pinsel, sondern die Etymologie, die Paläolinguistik und steinzeitliche Zeichen unterschiedlicher Epochen, mit denen sich die Runen vergleichen ließen. Gab es Gemeinsamkeiten? Konnte man gar die Entwicklung eines Zeichens verfolgen? Ich möchte Sie nun einladen, selbst das „Werkzeug“ in die Hand zu nehmen und mit mir auf Entdeckungsreise zu gehen.