Schlaglichter

Schlaglichter von Bacanskaitė,  Jūratė, Bruun,  Staffan, Haller,  Daniel, Roduner,  Markus, Sägesser,  Daniel, Schuppius,  Arnd M., Vilimavicius,  Martynas
Wann und wie kam Coca-Cola nach Finnland? Weshalb hat der Tango eine besondere Bedeutung für das Land? Wie hat die schon Jahrhunderte währende und bis heute andauernde exis- tenzielle Bedrohung und Aggression durch den grossen Nach- barn Russland diese nordische Nation beeinflusst und geprägt? Welche Rolle spielte und spielt ein anderes wichtiges Nachbarland, das christlich-abendländisch geprägte Königreich Schweden, dessen östliche Reichshälfte Finnland während 600 Jahren war? Was bedeutete es für Finnland, als es 1809 im Zuge der napoleonischen Kriege die Seite wechseln musste, aus dem schwedischen Reich gerissen und zu einem vom russischen Zaren regierten Grossfürstentum wurde? Mit anderen Worten, was hat es damit auf sich, dass schwedische Geschichte während langer Zeit auch finnische Geschichte war und dann mehr als 100 Jahre Russland ganz unmittelbar die Geschicke Finnlands lenkte? Das vorliegende Buch gibt darauf und auf zahlreiche weitere Finnland betreffende Fragen vielschichtig Auskunft. Der preisgekrönte finnlandschwedische Investigativjournalist, Publizist und Schriftsteller Staffan Bruun tut dies hier nicht in einer chronologisch oder wissenschaftlich-thematisch gegliederten Abhandlung, sondern auf eine ganz eigenwillige Art und Weise. Am Anfang stand eine Idee des »Hufvudstadsbladet« (»Das Hauptstadtblatt«), der grössten schwedischsprachigen Zeitung Finnlands in Helsinki: 2017 galt es, einen herausragenden, run- den Geburtstag zu feiern und zu würdigen. In jenem Jahr konnte das Land nämlich auf 100 Jahre staatliche Unabhängigkeit zurückblicken. Dies tat die Zeitung mit einer Serie von Artikeln, von denen in jeder Sonntagsausgabe des Jahres einer publiziert wurde, der letzte und 50. vor dem 6. Dezember 2017, jenem Tag also, an wel- chem Finnland vor 100 Jahren die russische Herrschaft endlich abschütteln und sich zum selbstständigen Staatswesen erklären konnte. Jeder Artikel ist eine in sich abgeschlossene, für sich stehende Geschichte, die ein für Finnlands Geschicke wichtiges Phänomen reflektiert, beschreibt, porträtiert. Und dies in absteigender Reihenfolge: Je wichtiger das Phänomen den Zeitungsmachern und dem Autor Staffan Bruun er- schien, desto später im Jahr fand das Thema Eingang in die sonntägliche Ausgabe. Am Schluss resultierte aus der fünfzigteiligen Artikelreihe ein eigenes Buch, das hier nun in deutscher Übersetzung vorliegt. Nicht zu übersehen ist dabei, dass in den Beiträgen eine teilweise finnlandschwedische Sichtweise vorherrscht. Für eine Publikation in einem finnlandschwedischen Medium mit schwedischsprachiger Leserschaft, wie es »Hufvustadsbladet« ist, ist dies natürlich naheliegend und legitim. (Zu den Folgen der 600 Jahre währenden gemeinsamen Geschichte Finnlands und Schwedens gehört, dass noch heute fast 6 Prozent der finnischen Bevölkerung – die sogenannten Finnlandschweden – schwedisch als Muttersprache sprechen und es ganze Landstriche gibt, wo vornehmlich schwedisch gesprochen wird.) Begonnen wurde die Artikelserie Anfang Januar 2017 mit dem Tango, der eigentlichen Volksmusik Finnlands, den Schluss machte Anfang Dezember 2017 der Beitrag Nummer 50 über das Phänomen, das das Land wohl am meisten prägt, den Wald. Staffan Bruun handelt die unterschiedlichen Facetten zu Geschichte, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur nicht trocken und distanziert ab, sondern erlaubt sich eine leichtfüssige, mit Anekdoten und Beispielen gespickte lebendige Erzählweise, die man ohne negatives Vorzeichen als populärwissenschaftlich bezeichnen darf. Jeder Artikel ist so verfasst, dass er möglichst selbsterklärend für sich alleine stehen und unabhängig von den anderen gelesen und verstanden werden kann. Der Leser oder die Leserin kann sich also auch getrost einzelne Beiträge im Buch – je nach Interesse – herauspicken, ohne dabei den Faden zu verlieren. Ein besonderes Augenmerk legt der Autor auf die grundlegende Bedeutung von Kultur, hier wiederum vor allem von Musik und Literatur. Nicht von ungefähr kann, wie sich nach und nach im Buch zeigt, deren Bedeutung für das »Nationbuilding« der Kulturnation Finnland und ihres Selbstverständnisses nicht überschätzt werden. Einen anderen Schwerpunkt legt Bruun auf die Auswirkungen des globalen Geschehens im Lauf der Jahrhunderte auf das kleine Finnland. Bereits mit der Reihenfolge, mit einer eigentlichen Rangordnung der beschriebenen Phänomene, wird eine subjektive Wer- tung der Bedeutung des behandelten Themas vorgenommen. Über diese darf man getrost diskutieren; sie stellt keine allgemeingültige, einem allgemeinen Konsens verpflichtete Einschätzung dar. Aber auch in den Texten selber scheut sich der Au- tor nicht vor wertenden Einschätzungen, was wiederum dem teilweise essayistischen Charakter der Beiträge geschuldet ist. Man kann die einzelnen Artikel als Puzzleteile oder Mosaik- steine betrachten – bei fortlaufender Lektüre, aber auch kreuz und quer, erschliesst sich dem Leser oder der Leserin nach und nach eine Gesamtschau auf Finnland. Und oftmals weist die Geschichte, weist das Schicksal Finnlands über sich hinaus, verweist auf Allgemeingültiges, woraus die geneigte Leserschaft ihre Schlüsse und Lehren auch für die Gegenwart ziehen kann. Etwa, wenn mit Nachdruck immer wieder in verschiedensten Zusammenhängen aufscheint, dass es nie ein friedliches, auf Ausgleich bedachtes Russland gab, sondern dieses vielmehr stets und bis heute aggressiv auftritt und nach brutaler, imperialer Hegemonie trachtet. So wie sich der Leserschaft bei der Lektüre nach und nach ein recht umfassendes Bild Finnlands erschliesst, so kann man da- bei auch einen eigentlichen roten Faden im Buch – und also in Finnlands Geschichte – erkennen: Das existenziellste Merkmal für Finnlands Wesen als Nation ist das dort vorherrschende Bewusstsein der immerwährenden Bedrohung im Osten durch Russland – und deren Abwehr. Zum Schluss noch ein Hinweis in eigener Sache: Wo es der Verständlichkeit, der Präzisierung diente, hat sich der Übersetzer erlaubt, geringfügige Texteingriffe in Form von kleinen Ergänzungen einzufügen oder aber auch minimale Weglassungen vor- zunehmen.
Aktualisiert: 2020-08-13
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