Inhalt Werner Güth, Hartmut Kliemt: Elementare spieltheoretische Modelle sozialer Kooperation Bernd Lahno: Sukzessiver Austausch - Vereinbarung und Vertrag Wilhelm Althammer, Wolfgang Buchholz: Die Bereitstellung eines öffentlichen Gutes aus spieltheoretischer Sicht - Die Grundsachverhalte Stefan Schenk, Peter Weise: Zur Evolution von Kooperation Joachim Weimann: Freifahrer im Test - Ein Überblick über 20 Jahre Freifahrerexperimente Max Frank, Joachim Grosser, Susanne Koch: Hierarchieversagen und die Vorteile kooperativer Führung - Anmerkungen zu Gary Millers "Managerial Dilemmas" Wolfgang Brandes, Peter Weise: Arbeitsleistung von Arbeitsgruppen als Prozeß der Selbstorganisation Editorial "Endlich allein!" - wie der Schriftsteller Wolfgang Hildesheimer eines seiner Bücher betitelt und damit seine Ausflüge in die Kooperationszwänge des menschlichen Miteinanders kommentiert. "Endlich zusammen!" - freut sich der Wissenschaftler, wenn in seinem Modell die eigennützigen Individuen freiwillig miteinander kooperieren. Daß Menschen kooperieren, d.h. miteinander arbeiten und dabei Vorleistungen erbringen, ist eine unbestreitbare Tatsache. Wozu Menschen dies tun, ist leicht erklärbar: Sie ermöglichen sich durch die Kooperation wechselseitige Vorteile. Aber warum Menschen ihre Eigeninteressen dem Gesamtinteresse unterordnen und damit auf individuelle Vorteile verzichten, um soziale Nachteile zu vermeiden, bedarf einer theoretisch befriedigenden Erklärung. Und die ist nicht leicht zu geben. Unterstellt man nämlich a priori den Menschen Kooperationswilligkeit, so hat man das, was erklärt werden soll, bereits als Motiv vorausgesetzt. Aus dem zu beweisenden Ergebnis wird unter der Hand die erklärende Ursache, die dann wiederum das Ergebnis beweist: Er gewinnt den Jackpot, weil er Glück hat, ein System erzeugt Loyalität, weil es die Loyalitätsfunktion erfüllt - ein semantischer Zirkelsprung von höchster Artistik. Ganz analog ist es mit Erklärungen der sozialen Kooperation, die altruistische Präferenzen, prosoziale Neigungen, moralische Einsichten oder Gerechtigkeitsvorstellungen unterstellen: Die Erklärungsursache ist jeweils die Substantivierung des zu erklärenden Verhaltens. Möchte man diesen (zirkulären oder systemfunktionalen) Erklärungsfallen entgehen, hat man nur zwei Möglichkeiten. Erstens, man thematisiert den Zielkonflikt zwischen Eigeninteresse und sozialem Kooperationsinteresse und versucht zu zeigen, unter welchen Bedingungen prinzipiell eigennützige und rationale Individuen Kooperationsvereinbarungen eingehen und auch einhalten. Zweitens, man zeigt, wie evolutiv in der Menschheitsgeschichte Altruismus, Prosozialität, Moral sowie Gerechtigkeit in das Handlungsvermögen der Menschen Eingang gefunden haben. Im ersten Fall liegt die Lösung in der korrekten Begründung von Instanzen, die die nicht-kooperativen Verhaltensweisen hinreichend verteuern, so daß rational die kooperative Verhaltensweise zu wählen ist. Im zweiten Fall liegt die Lösung in der korrekten Begründung einer prosozialen Handlungkompetenz, die immer dann, wenn sich Kooperation auf die Dauer und im Durchschnitt lohnt, eine kooperative Verhaltensweise generiert. Tatsächlich sind diese beiden Möglichkeiten keine Gegensätze, sondern ergänzen sich notwendigerweise. Denn strenge Eigennützigkeit und strikte individuelle Rationalität auf der einen Seite läßt eine soziale Kooperation verfehlen. Ein gewisses Maß an prosozialer Handlungskompetenz in Form einer Möglichkeit, sich selbst zu binden oder altruistisch zu sein, ist notwendig für soziale Kooperation. Prosoziale Handlungskompetenz auf der anderen Seite gerät aber in Konflikt mit dem Eigeninteresse des Menschen und wird ausbeutbar durch die Egoismen der anderen Menschen. So verbleibt letztlich nur eine Möglichkeit, das Zustandekommen sozialer Kooperation zu erklären. Man zeigt die Divergenz zwischen individuellem und kollektivem Interesse auf und bestimmt die Arten der Verteuerung des nicht-kooperativen Verhaltens: Selbstbindung, Gewissen, Einsicht, Lernen, Altruismus, Vereinbarung, Vertrauen, Normen, Zwang. Je nach dem Ausmaß und der Anreizstruktur der Divergenz erhält man unterschiedliche und verschieden präferierte Lösungen. Doch kann man die Prinzipien dieser Lösungen einer Systematisierung zuführen. In dem vorliegenden Band über "Soziale Kooperation" wird genau dieses Thema - individuelle eigennützige Rationalität im Konflikt mit kollektiv erwünschter Rationalität und die Prinzipien seiner Lösung - auf verschiedenen Ebenen betrachtet: der allgemein-gesellschaftlichen, der allgemein-kollektiven, der Unternehmungs- und der Arbeitsgruppen-Ebene. in ihrem Beitrag über "Elementare spieltheoretische Modelle sozialer Kooperation" analysieren Werner Güth und Hartmut Kliemt mit Hilfe des spieltheoretischen Instrumentariums das "Spannnungsverhältnis zwischen individueller strategischer Rationalität und gemeinsamer Interessenverfolgung". Sie zeigen anhand eines "Vertrauensspiels", daß nicht nur inter-individuelle Vereinbarungsprobleme auftreten, sondern daß der Mensch auch intra-individuelle Vertrauensprobleme zu lösen hat. Solche Lösungen können u.a. im Gewissen oder in der Dauerhaftigkeit der interindividuellen Beziehungen liegen. Aber eine stringente Rückführung der sozialen Kooperation - so ihr Fazit - auf die individuelle strategische Rationalität scheint nicht möglich zu sein. - Ein sehr bemerkenswertes Ergebnis. Im nächsten Beitrag erörtert Bernd Lahno "Vereinbarung und Vertrag" als Problem eines "sukzessiven Austausches". Auch er argumentiert spieltheoretisch und entwickelt hierzu ein sogenanntes Austausch- und Vertragsspiel, das es gegenüber dem Gefangenen-Dilemma- und dem Vertrauenspiel erlaubt, zusätzliche Optionen der Kooperation zu behandeln. Er zeigt, wie verschiedene Arten der einseitigen und wechselseitigen Selbstbindung dazu führen können, eine soziale Kooperation zu ermöglichen. Im wesentlichen sind dies formale Verträge, informelle Vereinbarungen und dauerhafte interindividuelle Beziehungen, die die Kosten des "antisozialen" Verhaltens erhöhen, entweder durch externe Sanktionsmöglichkeiten oder durch interne Androhung des Abbruchs der Geschäftsbeziehungen. Das Problem der sozialen Kooperation unter dem Blickwinkel der Bereitstellung eines öffentlichen Gutes aus spieltheoretischer Sicht betrachten Wilhelm Althammer und Wolfgang Buchholz. Sie verändern die diskret-binäre Wahlsituation im Gefangenen-Dilemma in eine stetige und stellen damit den Anschluß an die übliche Darstellung der Produktion und Finanzierung eines öffentlichen Gutes in der Finanzwissenschaft her. Ausgehend von einem allgemeinen Kooperationsspiel untersuchen sie die Bedingungen und Konsequenzen unterschiedlicher Modellierungen des Bereitstellungsproblems für ein öffentliches Gut. Ihre Schlußfolgerung: Auch bei einmaligem Spiel kann kooperiert werden, vorausgesetzt, das Koordinationsproblem kann gelöst werden. Die streng spieltheoretischen Annahmen weichen Stefan Schenk und Peter Weise in ihrem Beitrag "Zur Evolution von Kooperation" auf. Ausgehend von einem Mehr-Personen-Gefangenen-Dilemma-Spiel variieren sie verschiedene Annahmen hinsichtlich der Rationalität der Individuen, ihrer wechselseitigen Abhängigkeiten und ihres Lernvermögens aus eigenem und fremdem Verhalten. Mit Hilfe eines eigens dafür erstellten Computerprogramms simulieren sie mögliche Evolutionspfade der sozialen Kooperation. Es zeigt sich, daß das Entstehen sozialer Kooperation weniger eine Alles-oder-Nichts-Entwicklung ist, sondern vielmehr recht fragil und instabil von den Umgebungsbedingungen abhängt. Nach der Theorie die Empirie: "Freifahrer im Test - Ein Überblick über 20 Jahre Freifahrerexperimente" betitelt Joachim Weimann seinen Beitrag. Er gibt einen umfassenden Überblick über die bisher in der Literatur dokumentierten Experimente zum Freifahrerproblem und insbesondere zum Gefangenen-Dilemma-Spiel. Gleichzeitig erörtert er die Vor- und Nachteile der experimentellen Methodik und gibt eine Einschätzung der Nützlichkeit psychologisch-ökonomischer Experimente. Hinsichtlich des Entstehens sozialer Kooperation zieht er das Fazit, daß soziales Verhalten nicht nur Resultat eines rationalen Kalküls, sondern auch Ergebnis von Emotionen und genetischer Prägung ist. Auf Kooperation in der Unternehmung rekurrieren Max Frank, Joachim Grosser und Susanne Koch in ihrem Aufsatz über "Hierarchieversagen und die Vorteile kooperativer Führung". In Anlehnung an das Buch von Gary Miller über "Managerial Dilemmas" erörtern sie die These, daß eine Unternehmung mit flacheren Hierarchien und größerer Kooperationsbereitschaft der Manager Effizienzvorteile gegenüber einer Unternehmung aufweist, die durch Befehl und Erfolgskontrolle geprägt ist. Im wesentlichen stimmen sie dieser These zu, zeigen aber auch die einschränkenden Annahmen auf und erörtern die Schwierigkeiten, die sich bei der Auswahl multipler Gleichgewichte ergeben. Noch eine Ebene weiter nach unten steigen Wolfgang Brandes und Peter Weise, wenn sie sich mit der "Arbeitsleistung von Arbeitsgruppen als Prozeß der Selbstorganisation" befassen. Sie zeigen, daß es neben der spieltheoretisch begründeten strategisch-rationalen Kooperationsentscheidung auch Gruppendruck und internalisierte Arbeitmotivation als kooperationsfördernde Momente gibt. Kooperation ist damit ein sozialer Selbstorganisationsprozeß, in dem Arbeitsleistung und -motivation von den Individuen gemeinsam erzeugt werden, für jedes einzelne Individuum aber auch quasi Handlungsumgebung sind. Neben Gruppengleichgewichten werden andere komplexere soziale Kooperationsverhältnisse hergeleitet. "Endlich zusammen!" Die Autoren dieses Bandes zeigen, unter welchen Bedingungen Menschen sich zur Kooperation zusammenschließen. Immer besteht allerdings ein Konflikt zwischen individuellem Eigen- und kollektivem Kooperationsinteresse. Kooperation verlangt mithin Eigen- und Fremdzwang. Insofern versteht man den abgearbeiteten Kooperateur, wenn er abends im Sessel sitzt und zur Bierflasche greift: "Endlich allein!"