Zu unserer DVD
Vorhang auf. ist tatsächlich kein Film der jemals gedreht wurde, zumindest nicht im
eigentlichen Sinne. Einen Film drehen war in den Jahren vor dem Krieg bei weitem keine
Selbstverständlichkeit und war wesentlich auf den professionellen Bereich der
Filmproduktion beschränkt und nur wenige Privatpersonen versuchten sich am bewegten Bild.
Jemand, der in den 30er Jahren einen Film als Hobbyfilmer drehte, galt weniger als Amateur,
eher als Pionier seines Metiers. Es eine wahre Pionierleistung bewegte Bilder in
schwarzweiß auf Celluloid zu bannen. Das lag daran, dass Filmmaterial, Kameras und
Filmprojektoren sehr teuer waren, die gesamte Technik um Filme zu drehen (das geschah mit
Kameras, die mit einer Handkurbel angetrieben wurden, daher Film drehen) zu entwickeln
und zu schneiden waren für einen Hobbyfilmer mit erheblichen Kosten und Zeitaufwand
verbunden. Wenn dann doch mit diesem, aus unserer heutigen Sicht, eher komplizierten
Verfahren, ein Film entstand, besaß er keinen Ton. Die ersten Tonfilme gab es ab Ende der
20er Jahre. Erst nach dem Krieg sollten sich Tonfilme als Standard für Kinofilme etablieren.
Von dem professionell erstellten Filmmaterial und Filmen, die Privatpersonen von dem
Vorkriegskassel gedreht haben, ist viel durch Kriegsgeschehen für immer verloren gegangen.
Für uns war dieser beklagenswerte Verlust ein Grund für unser Visus- Filmprojekt. Neben
den wenigen Filmen hatte doch einiges Fotomaterial den Krieg mehr oder wenig heil
überstanden. Aus diesem Material wollten wir lange bevor das Altkasselprojekt der HNA im
Internet eingerichtet wurde, einen Teil der Kasseler Innenstadt mit dem thematischen
Schwerpunkt ‚Preußisches Staatstheater’ auf dem Computer als ein VISUS-Projekt wieder
erstehen zulassen. Es sollte ein thematisch begrenzter Bereich aus der alten Stadt auf dem
Computer rekonstruiert werden, mit dem Ziel nicht nur die im alten Stadtbild eingebetteten
Außenansichten historischer Gebäude zu zeigen, sondern auch Innenräume in Szene zu setzen
und kulturelles Leben im alten Kassel zumindest fragmentarisch wiederauferstehen zu lassen.
Das Ausgangsmaterial dazu waren Fotografien, Negative, Bildplatten, einige Postkarten
Zeitungsartikel aus der Zeit vor dem Krieg, Programmhefte, handgeschriebe Berichte und
Impressionen und viele Gespräche mit Personen, die im alten Theater als Künstler gewirkt
oder gearbeitet hatten. Zur Verfügung stand uns auf dem Computer eine selbstentwickelte
Software, VISUS.
VISUS
VISUS ist eine Softwareplattform, die es ermöglicht, einem Benutzer Bilderwelten auf ganz
unterschiedlichen Wegen zu erschließen. Einer dieser Wege besteht darin, sich VISUSSzenarien
wie Filme zu betrachten. In dieser Betriebsart von Visus führt eine virtuelle
Kamera den Betrachter auf einem festgelegten Weg nicht nur von Bild zu Bild, die Kamera
fliegt in die Bilder hinein (ZOOMS) oder bewegt sich von einem Bilddetail zum nächsten
(MOVES), einem Drehbuch folgend. Wir nennen solche Wege Parcours. Startet ein Benutzer
einen Parcours, dann begibt er sich auf festgelegtem Weg durch die Bilderwelten, den er an
jedem Punkt anhalten und an jedem Punkt auch wieder starten kann. Auch wenn Parcours
aussehen wie Filme, haben sie doch gegenüber einem Film einen bedeutsamen Vorteil. Man
kann die virtuelle Kamera, die einen Parcours in Echtzeit produziert, nicht nur jederzeit
anhalten und wieder starten, man kann die virtuelle Kamera in allen Bildern einer VISUSApplikation
per Maus manuell steuern. Für den Benutzer entsteht der Eindruck, in einen Film
gezielt eingreifen zu können, der eigenen Entdeckerfreude auch auf einem selbstgewählten,
eigenen Weg nachzugehen.
Manuell kann der VISUS-Benutzer mit verschiedenen Navigationssystemen sehr komplexe
Bilderwelten erforschen ohne dabei die Orientierung zu verlieren. So gibt es eine
Linkstruktur, die zusammengehörige Bilder miteinander verknüpft und über die man von
einer Ansicht zur nächsten wechseln kann vergleichbar mit Wegweisern, die von einzelnen
Bilddetails zur nächsten Abbildung weisen. Zu Szenen existiert umfangreiches zusätzliches
Informationsmaterial, das der Benutzer abrufen kann, z.B. Videos, gesprochene Kommentare,
Texte und Seiten im Internet. Dazu stehen ihm unterschiedliche Tools zur Verfügung:
Datenbanken, Inhaltslisten, Lagepläne, Alben. Während der Parcours aus ca. 90 Hauptszenen
besteht, umfasst allein das Bildmaterial der Computeranwendung ca. 1000 Bilddateien. Sie
zeigen Bühnenbilder, Portraits, Zeitungsausschnitte, Programmhefte usw. und laden
entdeckungsfreudige Benutzer zu interessanten Streifzügen durch das umfangreiche
Archivmaterial ein. Demnächst ist dieses Projekt auch als Computeranwendung erhältlich.
Vermutlich wollen nicht alle an unseren Projekten interessierte Personen aus
unterschiedlichen Gründen die Projektsoftware von VISUS mit allen dazugehörigen
Projektdateien auf ihren Computern installieren. Für Benutzer, die es vorziehen DVD-Videos
auf ihren Rechnern oder mit handelsüblichen DVD- Abspielgeräten zu betrachten, können wir
VISUS-Parcours als DVD-Videos exportieren. Unsere DVD ‚Vorhang auf…’ ist ein Export
eines VISUS-Parcours in einen VISUS-Film, der in der Tat nie wirklich gedreht wurde
sondern als programmierter Weg durch überlieferte Fotografien entstand.
Unser Video beginnt auf dem Friedrichsplatz mit einem Blick vom noch heute existierenden
Portikus des alten Residenzschlosses (jetzt Seiteneingang des Modehauses Sinn Leffers),
zunächst geheimnisvoll von dessen Säulen verstellt, auf das alte Theater, von dem zunächst
nur Teile fragmentarisch zu sehen sind. Verschiede Perspektiven vom Friedrichplatz auf das
Theater leiten zu einem Auerundgang über. Wie Spaziergänger in den 30er Jahren, die in der
Aue flanieren, sieht man das Theater aus verschiedenen Blickwinkeln. Aus der Ferne ertönen
zu den Geräuschen des Parks Ausschnitte aus Originalaufnahmen bekannter Opernarien, so
als höre man Proben im nicht weit entfernten Theater durch ein offen stehendes Fenster. Der
Rundgang endet auf dem Friedrichsplatz. Es folgt ein Theaterbesuch mit Ausschnitten aus
Abendvorstellungen: Schillers Wallenstein (1.+3. Teil), Die Zauberflöte von Wolfgang
Amadeus Mozert u.v.a. Der Abendvorstellung schließt sich ein Rundgang durch
Eingangshalle, den Foyers und dem Zuschauerraum an. Hier präsentiert sich das Gebäude
noch einmal in seiner gesamten, für immer verlorenen inneren Pracht. Anschließend verlassen
wir das Theater, spazieren über die Schöne Aussicht auf den Friedrichsplatz mit seiner
angrenzenden Geschäftsmeile Obere Königstrasse. Am anderen Ende des Friedrichsplatzes,
dort wo heute der breit ausgebaute Steinweg zwischen Fridericianum und Ottoneum verläuft,
stand die alte Elisabethkirche Kassels, mit dem markanten, von Jerome, dem Bruder
Napoleons, geschenkten grünen Glockenturm. Wir konnten einige alte aber dennoch
hochauflösende Aufnahmen von der Elisabethkirche vollständig restaurieren, so dass
eindrucksvolle Szenen von ihrem von Licht durchfluteten Inneren gelangen. Wir schließen
einen Besuch im alten Residenzschloss an. Wir gehen die breite Treppe hinauf in den ersten
Stock und durchschreiten eine Reihe prunkvoll eingerichteter Säle und Räume. Das Ende
unseres Films führt uns in das Fridericianum, das in den 30er Jahren eine Bibliothek war.
Unser Film endet im großen Lesesaal im ersten Stock, dessen Fensterfront zum Friedrichsplatz
hinaus geht.