Heinrich Weidt (1824-1901) war ein großer Meister der Liedkomposition. Seine Werke finden wir weltweit zerstreut in vielen Bibliotheken und Archiven. Wenn diese heute größten-teils in Vergessenheit geraten sind, so waren sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch ein fester Bestandteil des damaligen Konzertlebens. Ob in Hamburg oder Basel, in Temeswar oder Hermannstadt, in Berlin oder in Wien, in Opava/Troppau oder Celije/Cilli, in Budapest oder Vrsac/Werschetz, in Olomouc/Olmütz oder Kassel, seinen Namen finden wir immer wieder in Konzertprogrammen oder auf Plakaten jener Zeit, in Zeitungsberichten oder in den bedeutendsten Musikblättern des deutschsprachigen Raums.
Seine Lieder machen, neben den Chören, Opern, Operetten, Klavier- und Orchesterwerken, den größten Teil seines reichen kompositorischen Schaffens aus. Gewidmet hat Heinrich Weidt seine über 150 Lieder und Duette bedeutenden Sängerinnen, Sängern und Persönlichkeiten seiner Zeit, wie Henriette Stelzner, Franz Weixlstorfer, Wilhelm Kitzerow, Edward Lindemann, Joseph Lenz, Carl Formes, Gustav Ritter, Theodor Göbbels, Friedrich Rübsam, B. Mayr, Julius Jankovicz von Jeszeniczkei.
Weidts Lieder haben sich der genialen Einfachheit und einfallsreichen Melodien wegen bis in die verschiedensten Schichten der damaligen Gesellschaft verbreitet, wurden in mehrere Sprachen übersetzt und für Chöre und Orchester bearbeitet, wie z.B. Wie schön bis du, Ringerl und Röserl, Wenn der Frühling auf die Berge steigt. In seinen Liedern und Chören schlagen sich auch politische Geschehnisse seiner Zeit nieder, wie z.B. Der verbannte Polenfürst, Die 150 Husaren, Der sächsische Tambour, Der Deutsche und sein Vaterland, Schlachtgesang der Schleswig-Holsteiner, Kriegers Tod, Das deutsche Vaterland, Mein Vaterland, Hessenlied. Andere seiner Vertonungen haben sich als beliebte Balladen verbreitet: Der Goldschmied, Die Hochzeit auf dem Kynast, Der Glockenguss zu Breslau, Das Kreuz am Meer, Der Spielmann und sein Kind, Das Begräbniss der Rose, Der Troubadour u.a. Die Klavierbegleitung seiner Lieder und Duette ist mit einfallsreichen Motiven und Spielweisen versehen, nicht zu schwierig erdacht und ergänzt sich mit der Solostimme zu einem kleinen Kunstwerk.
Dass das Liedschaffen Heinrich Weidts zu seiner Zeit hoch geschätzt wurde, beweisen die Bearbeitungen anderer Komponisten: J. H. Doppler benützte das Lied Weidts Ringerl und Röserl für seine Klavierkomposition Petit fantaise sur l´air favori «Ringerl und Röserl» de H. Weidt (op. 102), Bernhard Lufer komponierte seine Phantasie Flöte und Orchester (oder Klavier) über das Lied Wie schön bist du, ein anderer Komponist namens Hoffmann schrieb das Galopp über das Lied „Wie schön bist Du“ und Joseph Nesvadba schrieb zum gleichen Lied eine Paraphrase (op. 32). Dieses Lied kann als Krönung seines gesamten Liedschaffens bezeichnet werden: in den Vereinigten Staaten von Amerika wurde es für vierstimmigen Männerchor bearbeitet, in Italien sang man es als eine italienische Romanze, in Ungarn hat man es mit Streichorchester gespielt und in Deutschland in einer Fassung für großes Blasorchester. Einige interessante Berichte über dieses Lied sind uns von seiner Tochter Lucie (Lucy) Weidt (1876-1940), der großen Solistin der Wiener Hofoper, erhalten geblieben.
Da der Name Heinrich Weidts im Gründungsprotokoll des Temeswarer Philharmonischen Vereins vom 21. Oktober 1871 enthalten ist und einige seiner Kompositionen in diesem Be-stand 1981 entdeckt werden konnten, fand ich es für wichtig, seinen Spuren europaweit zu folgen. Damit begann sich eine ganze Flut von direkten und indirekten Informationen anzusammeln, die mir die Tore zu weiteren Forschungen in Deutschland, Tschechien, Slowenien, Kroatien, Ungarn, Serbien, Österreich, Rumänien und in der Schweiz öffneten. Es war nicht leicht den Spuren Heinrich Weidts zu folgen, denn er war – wie Nikolaus Lenau es sagen würde – „stets ein unsteter Geist auf Erden.“
Aus den entdeckten Primärquellen kann man feststellen, dass Heinrich Weidt wenigstens in 24 Orten Europas als Schauspieler, Sänger, Kapellmeister, Chorleiter, Komponist oder Pädagoge tätig war: Mannheim, Wertheim, Hamburg, Amsterdam, Stuttgart, Frankfurt, Rotterdam, Saarbrücken, Berlin, Heidelberg, Düsseldorf, Zürich, Basel, Bern, Kassel, Budapest, Olmütz/Olomouc, Temeswar/Timisoara, Troppau/Opava, Cilli/Celije, Kubin, Weisskir-chen/Bela Crkva, Werschetz/Vrsac und Graz. Viele dieser späteren Wirkungsstätten gehörten bis 1919 zur Österreich-Ungarischen Monarchie. Heute muss man auf internationalem Terrain, in mehreren südosteuropäischen Staaten seine Spuren verfolgen, wo die meisten deutschen Sammlungen und Dokumentationsquellen noch gar nicht erschlossen, gesichert und erforscht sind.
Was mit einer Unterschrift Weidts im Gründungsprotokoll des Temeswarer Philharmoni-schen Vereins 1871 begonnen hat, entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einer wahren Fundgrube von wertvollen Kompositionen und interessanten kulturwissenschaftlichen Informationsquellen, die einen neuen Blick auf die musikalische Entwicklung südosteuropäischer Provinzen und kleinstädtischer Theater werfen. Als Kapellmeister, Dirigent und Komponist trat er in gemeinsamen Konzerten mit ungarischen, rumänischen und südslawischen Chören auf und wirkte eine Zeit lang sogar als Dirigent des serbisch-orthodoxen Kathedralchores in Temeswar. Als ein deutscher Kapellmeister wurde er in den damaligen multiethnischen Provinzen der Österreich-Ungarischen Doppelmonarchie sehr geschätzt.
Die meisten der in dieser Sammlung enthaltenen Kompositionen stammen aus dem Band Heinrich Weidts, den er 1869 seinem Freund August Pummer in Temeswar gewidmet hat. Andere seiner Werke konnten in folgenden Bibliotheken und Archiven entdeckt werden:
- Lippische Landesbibliothek Detmold, Musiksammlung
- Bayerische Staatsbibliothek, München
- Südosteuropäisches Musikarchiv München
- Wienbibliothek im Rathaus, Wien (vormals Musiksammlung der Wiener Stadt- und Landesbib-liothek)
- Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien
- Ungarische Széchényi-Nationalbibliothek, Musiksammlung (Országos Széchényi Könyvtár), Budapest
- Staatsarchiv Zadar, Kroatien
- Stadtbibliothek Celije/Cilli, Slowenien
- Universitätsbibliothek Ljubljana/Laibach, Slowenien
Dank an all diese Institutionen für die Hilfe in meinen Recherchen zum Leben und Werk dieses zu Unrecht vergessenen Kapellmeisters und Komponisten.