Einleitung
»Die Einleitung ist möglichst kurz.« (Erich Kästner)
Dieses Buch erweist sich als ein Reigen, der sich aus mehr oder weniger intensiven Begegnungen ergab, die weit abseits vom wissenschaftlichen Weg lagen. Es ist eine untereinander verbundene Reihe, ein Ineinandergreifen, und aus ihr ergeben sich Bezüge, die mir mehr als äußerlich zu sein scheinen. Außer Werner Heldt durfte ich alle hier skizzierten Persönlichkeiten kennenlernen, wenn natürlich auch nur mehr und weniger gut.
Bei Karl Alfred Wolken wurde ich durch Irene Kowaliska-Wegner introduziert, als ich die Witwe Armin T. Wegners 1987 in Rom besuchte.
Bei Wegners war einst der junge Kunststudent Matthias Koeppel ein tanzender Dauergast auf deren Terrassengrundstück am Fuße des Stromboli gewesen.
Dies fand ich bei Matthias Koeppel heraus, als ich zufällig mit einem Wegner-Buch unterm Arm in seinem Ladenatelier kurz vorbeischneite. Ich war eigentlich auf dem Weg zu meinem Vortrag im Literaturhaus an der Fasanenstraße – über Wegner.
Matthias Koeppels besondere Affinität zu Werner Heldts Berlin, seinen Brandmauern und seinem unterm Pflaster liegenden Strand, war evident, sie ist an seinen Bildern abzulesen, wurde aber für mich zu einer vertieften Wahlverwandtschaft, als ich seine Heldt-Paraphrase im »Abschied der Moderne« kennenlernte: Er zählt den Maler zu den großen Berliner Kollegen, wie ich auch.
Werner Heldt war mir durch seine Kriegsgefangenschaft in meiner oldenburgischen Heimat zu einem »Forschungsgegen-stand« geworden, einem jener Abgeschobenen, Zwangsemigranten oder eben hierhin Verbannten, von denen die heimische Kultur seit jeher profitiert hat. Die Photos seines Freundes Fritz Eschen gaben mir den Anstoß zu dieser Beschäftigung.
Zu den besonderen Bedingungen, unter denen sich Werner Heldts Kriegsgefangenschaft abspielte, hat mir Paul Meskemper aufschlußreiches Material geliefert: Heldt durfte in einem Stall-Atelier malen und sich nördlich des Küstenkanals frei bewegen.
Paul Meskemper war es gewesen, der mein jugendliches Interesse an Werk und Persönlichkeit Armin T. Wegners, so um 1975 herum, teilte, ja der damals vielleicht sogar der einzige Oldenburger war, der überhaupt wußte, welche geistig-literarische Brisanz und Qualität da verborgen war. Ich hatte Armin T. Wegner umgehend nachdem sein Buch »Fällst Du, so umarme auch die Erde« (1974) erschienen war, geschrieben und über ihn dann kleinere Arbeiten publiziert. Der Kreis hat sich so geschlossen.
Bei Durchsicht der allein aus persönlicher Vorliebe hervorgegangenen und keiner Konzeption geschuldeten Zusammenstellung von Künstler- und Schriftsteller-Charakeristiken, wie sie sich hier zusammenfindet,1 erweist diese sich, mich als Autor damit letztendlich überrumpelnd, als eine »Komposition«. Eine Komposition im wortwörtlichen Sinn, denn: Für mich ist eine Sonate daraus entstanden.
Diese wäre wohl dem zu Ehrenden nicht entgangen, der musikalisch hochgebildet ist; mir sind die Verbindungen, die sich da so scheinbar von selbst ergeben, geradezu unheimlich: Mit dem (Sonaten-)Hauptsatz klingen bei Karl Alfred Wolken die wesentlichen Themen alle schon einmal an, ein Allegro oder doch wenigstens ein Allegretto. Sie werden zügig angeschlagen, dem Typus des späteren Kultur-Managers Wolken entsprechend, folgen sie rasch wechselnd aufeinander: das Meer als Lebenselement; sein Stolz, ein Insulaner zu sein; die Sehnsucht des Nordländers nach dem Süden; der Protest gegen Verluste, wie er sie an der »Abschreibung« seines Wangerooger Elternhauses festmacht, eines Hauses für die Toten; vor allem aber seine lebenslange Verarbeitung des Aufgeriebenwerdens einer ganzen Generation, seiner Generation, noch unmittelbar vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Ist es bei Wolken ein selbstgewähltes römisches Exil, so war es bei Armin T. Wegner ein zwangsweise auferlegtes: Der »Themen-dualismus«, den das Andante maestoso hier vor uns aufbereitet, getragen und langsam, wird repräsentiert von der tragischen Gestalt Wegners: Ein verbitterter würdiger alter Herr ist in Verarbeitung erlittener Leiden befangen, die von den Jüngeren nicht mehr verstanden werden, die auf seinem Plateau vorerst nur feiern wollen. Matthias Koeppel und sein Cousin Peter Ronnefeld haben ihn so erlebt. Wenn das »Hauptthema« in diesem zweiten Satz dreimal erscheint, so ließe sich das auf Wegners dreifache Italienerfahrung beziehen, als Tourist vor dem Ersten Weltkrieg, als weitgehend Isolierter in der Künstlerkolonie Positano und schließlich als Autor ohne Sprachraum in der ewigen Stadt und auf Stromboli. Hier gibt es die »Mollparallele« zum weltoffenen römischen Lyriker und Kulturmanager Wolken.
Das Scherzo oder Menuett bietet dann den Formteil, den wir beim Hören (in diesem Fall beim Sehen) »am leichtesten wiedererkennen« können. Matthias Koeppels Kunst ist ein für jeden Be-trachter offenes Buch, sie gibt sich unmißverständlich preis. Die Dinge und die Menschen, ihre Handlungsweise und ihre Motive präsentieren sich nach einer komplizierten »Durchführung« oft deutlicher: Die »Abschreibung«, die Wolken seinem Elternhaus lyrisch nachruft, wird in Koeppels »Spaziergang der Investoren« dingfest, und Wegners immer etwas mythisiertes Italienbild, beschreibe er nun Positano als die »Sphinx« oder die Tempel von Paestum als Tierleiber in Abwehrstellung, stellt Matthias Koeppel vom Kopf auf die Füße: Italien kann erstaunlich wenig pittoresk sein, dafür aber gerade im Unmalerischen für den Maler zur Herausforderung werden. Das hat er in der Poebene so erlebt, aber abblätternder Putz, verlassene Gehöfte und Autowracks sind eben auch malenswert, weil sie die von Koeppel so geschätzten Lebensspuren tragen und weil sie Farbwerte zur Geltung bringen, Abstufungen, Töne, Nuancen, um die es anfangs schon dem noch Abstrakten zu tun war.
Daß »der Himmel über Berlin« und auch der Himmel anderswo, wie immer der sich von Tag zu Tag gestaltet, oft ein von Matthias Koeppel gemalter Himmel sein kann, haben ihm prominente Meteorologen bestätigt. Seine Wolkenbildungen und seine Himmelslandschaften sind erkennbar und benennbar. Seine Lichtführung verhält sich konsequent zum sonstigen kosmischen Geschehen und manche seiner Kollegen rufen ihn sogar an, wenn mal wieder ein besonders schöner »Koeppel-Himmel« aufzieht. Aber welcher Künstler kann schon von sich behaupten, daß er für einen meteorologischen Aufsatz über »Himmelsanblick und Wolkengestalt«2 zum Kronzeugen der Schichtung der Wolken wird, weil sie sich in seinen Bildern in Troposphäre, Stratosphäre und Mesosphäre exakt dargestellt und in typischer Form finden? Kunst und Meteorologie sind, seit Goethe sein berühmtes Gedicht auf »Howards Ehrengedächtnis« schrieb und seit die Romantiker von Kopenhagen bis Dresden die Wolken zum monographischen Bildthema erhoben haben, eine Allianz eingegangen. Aber nur ganz wenige bildende Künstler haben jene Präzision angestrebt, mit der Matthias Koeppel seine großen Himmel gestaltet. Sein Kommentar dazu ist, daß vor einem solchen »großen Himmel« auch die oft alltäglichen Dinge an Bedeutung gewinnen.
Bliebe noch Werner Heldt, dem hier das Allegro dramatico zufällt, der musikalisch angeblich kein neues Material mehr präsentierende vierte Satz. Er wird dennoch zum alles abrundenden Finale: Die Kriegsgefangenschaft und die damit verbundene Identitätskrise, der Heldts essayistischer »Versuch über die Masse« bereits vorausgegangen war, also wiederum Ausgegrenztsein und anschließende Isolation, bilden den Ausklang und ergeben in seiner 1943 bereits entstandenen Ikone »Fensterausblick mit totem Vogel« so etwas wie ein Finale appassionato. Eine tote Krähe auf dem Fensterbrett wird zum Sinnbild subversiven Einverständnisses der Ateliergemeinschaft Klosterstraße in Berlin und später dann, 1945 – als verlorenengegangene zweite Fassung – zum Symbolbild der Kriegsgefangenschaft schlechthin.