Auf dem Weg zum disjunktiven Denken

Auf dem Weg zum disjunktiven Denken von Kümmel,  Friedrich
Nach Friedrich Kümmels systematisch orientierter Untersuchung zur Logik der Disjunktion, die 2017 unter dem Titel Der Ort des Menschen in der disjunktiven Struktur erschien, folgt nun seine zweibändige hermeneutisch orientierte Untersuchung zur disjunktiven Logik bei Parmenides, Heraklit und Protagoras. Diese Denker haben die disjunktive Logik auf den Weg gebracht. Sie angemessen zu würdigen ist deshalb das vorzügliche Anliegen dieser Studien, die allerdings selber insofern noch ‚auf dem Weg‘ sind, als sie aufgrund der Erkrankung des Autors von ihm nicht abgeschlossen werden konnten. Über den Grad ihrer Ausarbeitung informiert die Editorische Vorbemerkung. Friedrich Kümmel sieht Parmenides und Heraklit nicht, wie sonst üblich, in Opposition zueinander. Seiner Auffassung nach bedienen sie sich der gleichen Logik. Nur der Bezugspol ist bei ihnen verschieden: Parmenides macht die Einheit an einem zeit-überhobenen Bleibenden fest, während Heraklit das Ganze und seine Einheit unter dem Aspekt der Zeit thematisiert und sie in das Absolulte selbst hineinnimmt: als ein in der Aktualität vor sich gehendes Werden. Der von Protagoras aufgestellte Homo-mensura-Satz bringt hinsichtlich des menschlichen Erkenntnisvermögens die von Parmenides aufgestellte Disjunktion von Sein und Nichts in Anschlag, und zwar so, daß sie sich bezüglich der Unterscheidung von Wahrheit (aletheia) und Schein (doxa) nicht mehr relativieren läßt. Der Homo-mensura-Satz zielt so auf ein absolutes Maß der Unterscheidung und wehrt die von Platon vorgelegte und seitdem kanonisch gewordene relativistische Deutung des Satzes gerade ab. Friedrich Kümmel zeigt, daß der Satz mit seiner Zentrierung auf die Unterscheidung des Wirklichen vom Unwirklichen in den Umkreis einer Logik der Disjunktion gehört, die, von Parmenides entwickelt, sich der von Aristoteles etablierten Logik der Alternativen entzieht.
Aktualisiert: 2020-07-08
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Schleiermachers Hermeneutik

Schleiermachers Hermeneutik von Kang,  Ton-Ku, Kümmel,  Friedrich
Ton-Ku Kang DIE GRAMMATISCHER UND DIE PSYCHOLOGISCHE INTERPRETATION IN DER HERMENEUTIK SCHLEIERMACHERS Die dritte über Schleiermacher im Vardan Verlag erscheinende Arbeit nimmt die von Heinz Kimmerle nach den Handschriften neu herausgegebene Hermeneutik Schleiermachers zum Anlaß einer Auseinandersetzung mit der durch die beiden Bezugspole Dilthey und Gadamer umschriebenen Kontroverse über die Grundlagen des Verstehens und der Hermeneutik. Unbestritten ist hierbei der Bezug auf die Sprache, strittig jedoch der Stellenwert des Faktors „Individualität“, der bei Schleiermacher und Dilthey eine zentrale Rolle für die Produktion und Rezeption von Sprachwerken spielt, von Gadamer und seiner Schule jedoch an die zweite Stelle gerückt worden ist. Schleiermacher verteidigt das subjektive Moment im sprachlich verfaßten Sinngebilde gegenüber dem Geltendmachen einer übergreifenden Ordnung des sprachlichen Universums und seiner Tradition. Es kommt zunächst einmal darauf an, die Rede eines anderen im Gespräch zu verstehen, bevor man daran gehen kann, ein intersubjektiv gültiges Allgemeines ins Auge zu fassen. Wenn die Sprache nicht in einer Geistmetaphysik hinterlegt ist und auch nicht einem Rationalitätsanspruch preisgegeben werden kann, muß zuerst nach den Grundbedingungen des Verhältnisses zwischen dem Redenden und dem Vernehmenden gefragt werden, aus dem die Hermeneutik als „Kunstlehre des Verstehens“ ihre Regeln zu entwickeln hat und vor allem auch den Grenzen des Verstehens Rechnung tragen muß. Was an Sinn geschöpft und ausgedrückt werden kann, hat in der Sprache wie im einzelnen Menschen eine Tiefe, die unergründlich bleibt und nach wie vor Rätsel aufgibt. Menschliches gelangt nie zu einer Selbstverständlichkeit, wie Tradition und Rationalitätsanspruch bzw. Klassik und moderne Kommunikations- und Zeichentheorien dies suggerieren. Fremdheit ist nie ganz in Verstehen auflösbar und weist auch noch auf andere Grundlagen des zwischenmenschlichen Verkehrs und der Verständigung hin.
Aktualisiert: 2020-04-10
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Schleiermachers Dialektik

Schleiermachers Dialektik von Kümmel,  Friedrich
Schleiermachers „Dialektik“ besteht aus Entwürfen und Nachschriften der inzwischen vollständig edierten, nach wie vor aber schwer zu erschließenden Vorlesungen aus den Jahren 1811, 1814/15, 1818/19 und 1822 sowie einer Einleitung zur geplanten Drucklegung aus dem Jahre 1833. Schleiermacher verknüpft darin die Frage nach den logischen und anthropologischen Grundlagen der Erkenntnis mit der Frage nach dem absoluten Grund des Wissens, mit Bezug auf den allein die Frage nach der Wahrheit so beantwortet werden kann, daß sie der skeptischen Destruktion standhält, ohne daß man gezwungen wäre, „Welt“ als Be-zugsrahmen der Erkenntnis zu verlassen. Der absolute Grund des Wissens fällt nicht selber ins Wissen, und doch bleibt ohne den Rückbezug auf ihn das Wissen ununterscheidbar von den Meinungen, die der Mensch sich über die Dinge und über sich selbst gebildet hat. Ein vorangestellter Prolog skizziert kurz die damit umrissene erkenntnistheoretische Problematik, die angesichts der modernen Skeptizismen noch keine befriedigende Lösung gefunden hat. Deutlich ist jedoch, daß es einer komplexeren, nicht mehr in der Alternative von Rationalismus oder Empirismus bzw. Idealismus oder Positivismus hängen bleibenden Logik bedarf, um absolute und relative Gesichtspunkte der Erkenntnis so ins Verhältnis setzen zu können, daß das eine das andere nicht negiert. Wenn nun aber auch kein Vermitt-lungsdenken hier weiterführt, dringt Schleiermacher mit seiner „Dialektik“ in logisch-erkenntnis¬theoretisches Neuland vor, das zu betreten im Zeichen der Moderne unabdingbar wird.
Aktualisiert: 2020-04-10
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Der Begriff der Individualität beim frühen Schleiermacher

Der Begriff der Individualität beim frühen Schleiermacher von Lee,  Byung-ok
Byung-ok Lee DER BEGRIFF DER INDIVIDUALITÄT BEIM FRÜHEN SCHLEIERMACHER Vardan Verlag Hechingen 2009, 324 Seiten, kartoniert, 19,90 Euro ISBN-13: 978-3-941060-02-9 Schleiermachers philosophisches Werk stand lange Zeit im Schatten Hegels und ist erst durch Dilthey und verstärkt im Zeichen der „hermeneutischen Wende“ wieder zur Geltung gebracht worden. Verwurzelt im frühromantischen Denken, verbindet sich mit dem von ihm zur Geltung gebrachten Begriff der Individualität ein tiefgreifender Umbruch, der unsere Moderne heraufgeführt hat und bezüglich aller seiner Implikationen noch keineswegs hinreichend ausgelotet worden ist. Der junge Schleiermacher hat, beginnend mit Studien zu Spinoza und Leibniz, den Begriff der Individualität zum Ausgangpunkt seines Denkens genommen. Insbesondere seine frühen Schriften: Kurze Darstellung des Spinozistischen Systems (1793/94); Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799); Monologen (1800); Brouillon zur Ethik (1805/06); Entwürfe zur Hermeneutik (1805 ff.) sind nachhaltig durch den Gedanken des Individuellen bestimmt worden. Für Schleiermachers Ethik, die den Begriff der Gemeinschaftlichkeit und mit ihm ein ethisch Allgemeines ins Zentrum stellt, und für seine Dialektik, die als Wissenschaftslehre am Begriff allgemeingültigen Wissens festhält, ergibt sich daraus das schwierige Problem, wie die Bezugspole „Individualität“ und „Allgemeinheit“ bzw. „Gemeinschaftlichkeit“ in einen inneren Zusammenhang gebracht werden können, ohne sich gegenseitig zu bestreiten. Wenn der Faktor „Individualität“ aus keiner Form des Denkens, Wissens und Wollens herausgenommen werden kann, verändert dies auch das Begriffliche selbst und wirkt sich aus auf die Formen sprachlicher Mitteilung. So im „Zwischen“ verortet, vereinigt das Thema „Individualität“ Tradition und Moderne und verlangt, beides in ein produktives Verhältnis zueinander zu bringen. In diesem Sinne ist die hier vorgelegte Untersuchung von höchster Aktualität.
Aktualisiert: 2020-04-10
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Auf dem Weg zum disjunktiven Denken

Auf dem Weg zum disjunktiven Denken von Kümmel,  Friedrich
Nach Friedrich Kümmels systematisch orientierter Untersuchung zur Logik der Disjunktion, die 2017 unter dem Titel Der Ort des Menschen in der disjunktiven Struktur erschien, folgt nun seine zweibändige hermeneutisch orientierte Untersuchung zur disjunktiven Logik bei Parmenides, Heraklit und Protagoras. Diese Denker haben die disjunktive Logik auf den Weg gebracht. Sie angemessen zu würdigen ist deshalb das vorzügliche Anliegen dieser Studien, die allerdings selber insofern noch ‚auf dem Weg‘ sind, als sie aufgrund der Erkrankung des Autors von ihm nicht abgeschlossen werden konnten. Über den Grad ihrer Ausarbeitung informiert die Editorische Vorbemerkung. Friedrich Kümmel sieht Parmenides und Heraklit nicht, wie sonst üblich, in Opposition zueinander. Seiner Auffassung nach bedienen sie sich der gleichen Logik. Nur der Bezugspol ist bei ihnen verschieden: Parmenides macht die Einheit an einem zeit-überhobenen Bleibenden fest, während Heraklit das Ganze und seine Einheit unter dem Aspekt der Zeit thematisiert und sie in das Absolulte selbst hineinnimmt: als ein in der Aktualität vor sich gehendes Werden. Der von Protagoras aufgestellte Homo-mensura-Satz bringt hinsichtlich des menschlichen Erkenntnisvermögens die von Parmenides aufgestellte Disjunktion von Sein und Nichts in Anschlag, und zwar so, daß sie sich bezüglich der Unterscheidung von Wahrheit (aletheia) und Schein (doxa) nicht mehr relativieren läßt. Der Homo-mensura-Satz zielt so auf ein absolutes Maß der Unterscheidung und wehrt die von Platon vorgelegte und seitdem kanonisch gewordene relativistische Deutung des Satzes gerade ab. Friedrich Kümmel zeigt, daß der Satz mit seiner Zentrierung auf die Unterscheidung des Wirklichen vom Unwirklichen in den Umkreis einer Logik der Disjunktion gehört, die, von Parmenides entwickelt, sich der von Aristoteles etablierten Logik der Alternativen entzieht.
Aktualisiert: 2020-07-07
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Auf dem Weg zum disjunktiven Denken

Auf dem Weg zum disjunktiven Denken von Kümmel,  Friedrich
Nach Friedrich Kümmels systematisch orientierter Untersuchung zur Logik der Disjunktion, die 2017 unter dem Titel "Der Ort des Menschen in der disjunktiven Struktur" erschien, folgt nun seine zweibändige hermeneutisch orientierte Untersuchung zur disjunktiven Logik bei Parmenides, Heraklit und Protagoras. Diese Denker haben die disjunktive Logik auf den Weg gebracht. Sie angemessen zu würdigen ist deshalb das vorzügliche Anliegen dieser Studien, die allerdings selber insofern noch ‚auf dem Weg‘ sind, als sie aufgrund der Erkrankung des Autors von ihm nicht abgeschlossen werden konnten. Über den Grad ihrer Ausarbeitung informiert die Editorische Vorbemerkung. Friedrich Kümmel sieht Parmenides und Heraklit nicht, wie sonst üblich, in Opposition zueinander. Seiner Auffassung nach bedienen sie sich der gleichen Logik. Nur der Bezugspol ist bei ihnen verschieden: Parmenides macht die Einheit an einem zeit-überhobenen Bleibenden fest, während Heraklit das Ganze und seine Einheit unter dem Aspekt der Zeit thematisiert und sie in das Absolulte selbst hineinnimmt: als ein in der Aktualität vor sich gehendes Werden. Der von Protagoras aufgestellte Homo-mensura-Satz bringt hinsichtlich des menschlichen Erkenntnisvermögens die von Parmenides aufgestellte Disjunktion von Sein und Nichts in Anschlag, und zwar so, daß sie sich bezüglich der Unterscheidung von Wahrheit (aletheia) und Schein (doxa) nicht mehr relativieren läßt. Der Homo-mensura-Satz zielt so auf ein absolutes Maß der Unterscheidung und wehrt die von Platon vorgelegte und seitdem kanonisch gewordene relativistische Deutung des Satzes gerade ab. Friedrich Kümmel zeigt, daß der Satz mit seiner Zentrierung auf die Unterscheidung des Wirklichen vom Unwirklichen in den Umkreis einer Logik der Disjunktion gehört, die, von Parmenides entwickelt, sich der von Aristoteles etablierten Logik der Alternativen entzieht.
Aktualisiert: 2020-07-07
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Der Ort des Menschen in der disjunktiven Struktur

Der Ort des Menschen in der disjunktiven Struktur von Kümmel,  Friedrich
Ausgangspunkt dieser systematischen philosophischen Untersuchung Friedrich Kümmels ist die Beobachtung, daß Gegensatzstrukturen die Denk- und Wahrnehmungsweise des Menschen und die dadurch bedingte Dichotomisierung seiner Welt in Subjekt und Objekt immer schon bestimmen. Ihnen liegt eine biologische Matrix zugrunde, die auch noch im Körperschema und in den sprachlichen Oppositionen ihren Niederschlag gefunden hat. Die Untersuchung nimmt jedoch vor allem die später im Namen der Philosophie und der Logik erfolgten Überformungen dieser Gegensatzstrukturen kritisch in den Blick: das Widersprüche ausschließende Verfahren der klassischen aristotelischen Logik, das im westlichen Denken tief verwurzelte Räsonieren in einander ausschließenden Alternativen, das in unauflösliche Dilemmata führt, sowie den dialektischen Umgang mit Gegensätzen in der westlichen Moderne. Um diesen Fehlorientierungen entgegenzuwirken, greift die Studie Ansätze paradoxlogischen Denkens auf, wie sie sich z.B. bei Parmenides, bei Nietzsche und im fernöstlichen Denken finden, und systematisiert sie zu einer Logik der Disjunktion bzw. zu einer disjunktiven Logik. Was aber heißt hier ‚Disjunktion’ bzw. ‚disjunktiv’? In der herkömmlichen Logik bezeichnet der Ausdruck sowohl das ausschließende Oder (entweder – oder) als auch das nicht-ausschließende Oder (und/oder). Friedrich Kümmel nimmt dieses Verständnis auf, aber modifiziert es, und zwar in zwei Richtungen: Zum einen füllt er die im traditionellen Verständnis rein formale Kategorie mit anthropologischem Gehalt und zeigt so ihre Gesättigtheit mit menschlicher Wirklichkeit; zum anderen läßt er das nicht-ausschließende Oder an die Stelle des ausschließenden Oder treten, sodaß es auch noch Widersprüche integrieren kann. In dieser Perspektive auf die conditio humana erscheint das Fremde, das Abweichende, das dem Selbstverständnis zunächst Widersprechende als die Kehrseite desselben (vgl. z.B. Luthers Erkenntnis, der Mensch sei simul iustus et peccator). So gewinnt der Mensch in Friedrich Kümmels Philosophie seinen „Ort in der disjunktiven Struktur“.
Aktualisiert: 2020-04-10
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Hermeneutik als Methode

Hermeneutik als Methode von Kümmel,  Friedrich
Methode (μέθοδος)heißt ursprünglich: „einem Weg (odos) folgen“. Die Offenheit und Komplexität des Bedeutungsspektrums von „Weg“ wird in der „Methode“ allerdings allmählich zur Engführung gebracht, im Sinne eines überschaubaren Verfahrens „methodisiert“. Das gilt sowohl für das Verstehen von Texten als auch für das experimentelle Vorgehen in den Naturwissenschaften. Das wissenschaftliche Denken der Neuzeit macht in diesem Sinne aus dem Weg ein streng geregeltes Verfahren, das der Gesinnung, Begründung und Sicherung eines allgemeinen, jedermann zugänglichen Wissens dient. Doch die Hermeneutik als Methodenlehre des Verstehens weit diese Engführung ab, ohne aber die Wegemetapher gänzlich zu verwerfen: Sie erläutert, welche Art der inneren Offenheit und Bereitschaft erforderlich ist, um die nicht im vorhinein, sondern nur in der Begegnung selbst sich darbietenden Schritte zum Verständnis eines Menschen oder des überlieferten dichterischen Worts zu tun. Es gibt also auch hier zu bahnende Wege des Verstehens, aber sie sind nicht absehbar und deshalb auch nicht planbar. Demgegenüber folgen die Methoden der so genannten „exakten“ Wissenschaften der absehbaren, seit Aristoteles etablierten axiomatisch-deduktiven Logik, die sowohl den Weg als auch jede Schrittfolge auf ihm nach vorab bestimmten Regeln vorschreibt und steuert. Aber selbst hier geht aller Sicherheit die Ungewißheit erster tastender Schritte voraus: Auch der Naturwissenschaftler macht seine Versuche zunächst noch in unbegangenem Gelände, muß sich erst noch einen Weg bahnen und festen Grund unter die Füße bekommen, bevor er weiter gehen kann. Ein genauer Blick zeigt darüber hinaus, daß nicht nur die ersten Anfänge und Gründe einer Wissenschaft Verstehensleistungen erfordern, die durch die etablierten Logiken nicht einzuholen sind; denn das Erfordernis des Begreifens ist durch methodisches Vorgehen allein noch nicht gesichert: Sowohl die Grundbegriffe als auch die Forschungsergebnisse sind zu deuten und vor Un- und Mißverständnissen zu bewahren. Auch hier stellt sich das Problem des „hermeneuein“, nämlich einen Gang zu gehen, wo es noch keine eindeutigen Wege und die Möglichkeit hundertfacher Täuschung gibt. Die vorgelegten Untersuchungen weisen einer solchen zweiseitig orientierten Theorie des Verstehens das Wort. Sie knüpft an ältere Wissenstraditionen an, die einen unteren und einen oberen Pol des Wissens unterscheiden und ein „höheres“ Moment der Offenbarung bzw. Divination mit einem in Zeit und Raum zu verortenden, „niederen“ Wissen der Erfahrung in ein Verhältnis zu bringen nötigen. Entsprechend den zwei unterschiedlichen, jedoch disjunktiv verbundenen Wissensformen handelt es sich um zwei grundverschiedene Begriffe von Verstehen: gewöhnliches und tieferes Verstehen, die sich in ihrer Reinform geradezu ausschließen und doch in ein Verhältnis zueinander gebracht werden müssen, weil Verstehen überhaupt nur zustande kommen kann, indem unsichtbare Fäden das Heterogene verbinden.
Aktualisiert: 2020-04-10
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Moralerziehung zwischen Wertorientierung und Wirklichkeitsbezug

Moralerziehung zwischen Wertorientierung und Wirklichkeitsbezug von Kümmel,  Friedrich
Moralerziehung zwischen Wertorientierung und Wirklichkeitsbezug (Kurzfassung B) Werterziehung verlangt wie jede Erziehung die Anwendung aufs Exempel, und diese ist in einer multidimensionalen Wirklichkeit eine nicht leicht zu lösende Aufgabe. Schon die Frage, womit eine Werterziehung beginnen kann, ist strittig und führt zu unterschiedlichen Antworten. Sind es die Regeln und Ordnungen des Schullebens, deren Notwendigkeit ja ein jeder irgendwie einsieht, oder ist es das Fühlen von qualitativen Unterschieden im sozialen Klima und im Verhalten, das man beim Kind mehr noch als beim Erwachsenen voraussetzen kann, solange es nicht systemkonform einsozialisiert und betriebsblind gemacht worden ist? Die Begründung von Moralität im Spannungsfeld zwischen emotionaler Verankerung von Werthaltungen und moralischer Aufklärung und Kritik In den älteren Formen moralischer Erziehung ging es im Zusammenhang mit der Tugendlehre und Herbarts Konzeption einer Erziehung zur sittlichen Charakterstärke grob gesagt um die emotionale Verankerung von Werthaltungen, in sozialwissenschaftlicher Terminologie gesprochen um die Internalisierung von Normen und Werten auf dem Wege der Identifikation. Eine solche Identifikation und Nachahmung kann unterstützt werden durch idealisierende Formen der Darstellung vorbildlichen Lebens, wie es in geschichtlichen Gestalten zutage tritt. Besonders wichtig erscheint in diesem Zusammenhang jedoch die unmittelbare Teilnahme an prägenden Lebensformen und ihre Einübung im Miterleben, Mitwollen und Mittun. Ein Lernen dieser Art ist in der neueren Didaktik häufig kritisiert worden, fehlt ihm doch das Moment rationaler Widerspruchsfreiheit und der Ansatzpunkt für Kritik. Man kann jedoch davon ausgehen, daß gelebte Teilnahme und Mitvollzug für jede Form von gelingender Erziehung nach wie vor von fundamentaler Bedeutung sind. Der neuere, von vielen Erziehern und Lehrern bevorzugte Typus sittlicher Erziehung folgt dem Zug des Aufklärungsdenkens und zentriert sich auf die Reflexion, Begründung und Kritik von Geltungsansprüchen, seien diese gesellschaftlicher oder moralischer Natur. Die Frage nach der Legitimität von Geltungsansprüchen folgt einem rationalen Handlungstypus und rekurriert auf die im Rahmen zweckfunktionaler Systembetrachtung entwickelten Mittel zur Entscheidungsfindung, Konsensbildung und Kritik. Daß beide Konzeptionen sich reiben und im Prinzip ausschließen, ist unmittelbar einsichtig. Aber es ist auch nicht möglich, eine Entscheidung zwischen ihnen zu treffen. Beide haben im Blick auf die sittliche Erziehung ihre je besonderen Vorteile, aber auch ihre spezifischen Mängel und verhalten sich darin komplementär zueinander. Dies legt bei aller Gegenläufigkeit in der Tendenz eine Verbindung nahe, und dies um so mehr, als jede der beiden Konzeptionen für sich genommen ethisch zweideutig bleibt und der Moralität wie der Unmoralität in gleicher Weise dienen kann. Das Bemühen um die emotionale Verankerung von Werthaltungen hat darin ein unbestreitbares Recht, daß hier auf der Seite praktischer Verwirklichung angesetzt wird und das Augenmerk auf den prägenden und emotional befriedigenden, also auch motivierenden und handlungsbestimmenden Formen liegt. Problematisch erscheint jedoch, daß die damit verbundenen Lernprozesse weithin unbewußt verlaufen und sich einer rationalen Aufklärung und Kritik oft genug widersetzen. Sie begünstigen eine Tendenz auf Konformität im Denken und Verhalten und führen leicht zur Verabsolutierung der eigenen Position. Aber auch der theoretisch zentrierte, rationale Typus moralischer Aufklärung ist ethisch zweideutig und bleibt in seiner unmittelbaren pädagogischen Anwendung nicht ohne Bedenken. Gegen ihn ließe sich einwenden, daß er mit seinem relativierenden Hinterfragen und Problematisieren möglicherweise zu früh einsetzt und bezüglich der Wahrnehmung von strukturellen Zusammenhängen das Kind überfordert. Vor allem aber haftet ihm die tiefere Zweideutigkeit an, daß Reflexionen dieser Art trickreiche „Rationalisierungen“ (im psychoanalytischen Sinn des Worts) nicht ausschließen können. Auch die Reflexion, und nicht nur Emotion kann selbstblind machen, so daß das ihnen jeweils zugrunde liegende Verhaltensmotiv nicht an die richtige Stelle gerückt und aufgearbeitet werden kann. Aber auch der Umstand, daß der Stellenwert rationaler Überlegung hinsichtlich des Handelns oft überschätzt wird, kann einer so begründeten sittlichen Erziehung zum Nachteil gereichen. Und schließlich muß man das sich zwingender Logik bedienende Rechthabenwollen des Verstandesdenkens in Betracht ziehen und einsehen, daß auch die Wahrheitsbehauptung oft nur ein Trick zur Überredung ist. Rationalität muß nicht eo ipso von höherer moralischer Qualität sein: Sie kann der gemeinsamen Verständigung und einer vernünftigen Praxis dienen, aber auch der Rechthaberei und der Abwehr von Ansprüchen, denen gegenüber man es vorzieht auf die allgemeine Ebene auszuweichen. Auf beiden Seiten gibt es somit Vorzüge, aber auch Defizite und entsprechende Fehlformen einer sittlichen Erziehung. Während die emotionale Verankerung von Werthaltungen leicht zu direkten Abhängigkeiten führt, kommen auf der Ebene der Reflexion bevorzugt die mit der Negation verbundenen, aber nicht weniger bindenden Gegenabhängigkeiten (counter-dependencies) zum Tragen. Um der ethischen Zweideutigkeit in beiden genannten Konzeptionen entgegenzuwirken, legt sich ihre ausdrückliche Verbindung nahe, und dies um so mehr, als sie sich auch in ihren Vorzügen und Stärken komplementär zueinander verhalten. Daß die ältere Konzeption der emotionalen Verankerung von Werthaltungen oft nicht genügend zwischen sozialer Geltung und moralischer Verpflichtung unterschieden hat und auch in den Mitteln sittlicher Erziehung freie Ansprache und soziale Nötigung nicht sorgsam trennte, läßt sich kompensieren durch eine moralische Überlegung, der es gerade auf diese Differenzen und in Verbindung damit auf die Übereinstimmung zwischen Zielen und Mitteln ankommt. Auch das chronische Begründungs- und Legitimationsdefizit autoritätsbezogener Lern- und Erziehungsformen ließe sich durch die Möglichkeit rationaler Begründung und Reflexion ausgleichen. Auf der anderen Seite aber könnte die freischwebende Reflexion in stärkerem Maße zurückgebunden werden an soziale Realitäten, die Individuallage und das konkret anstehende Handeln. Der für jede Form von moralischer Bewährung verlangte Test auf die Praxis enthebt das rationale Argumentieren der Gefahr, im Zeichen der Ideologiekritik unter der Hand selber ideologisch zu werden. Daß es beide, dem Typus nach zu unterscheidenden Lern- und Bewußtseinsformen gibt und daß beide für den Menschen und sein Moralischwerden gleichermaßen unentbehrlich sind, bedarf keines besonderen Nachweises. Die moderne Gehirnforschung tut ein übriges, um die Tatsachen und Probleme eines strukturell wie funktional gedoppelten Bewußtseins ins Licht zu rücken. Aber auch wenn hier das Erfordernis der Verbindung beider ‘Hälften’ betont wird, möchte ich hinsichtlich der sittlichen Erziehung noch einen Schritt weitergehen und behaupten, daß nur in ihrer Verbindung die Möglichkeit moralischer Qualität enthalten, wenngleich nicht schon gewährleistet ist. Die geforderte Verbindung muß deshalb nach beiden Seiten hin sowohl affirmativ als auch selbstkritisch gehandhabt werden. Das Positive beider Konzeptionen so zu verbinden, daß sich ihre Mängel gegenseitig kompensieren, ist allerdings keine leichte Aufgabe, weil sie der praktischen Tendenz nach gegenläufig zueinander sind und im reinen Fall sich geradezu ausschließen. Eine theoretisch konsistente Vereinigung dürfte aus diesem Grunde kaum möglich sein, wohl aber ihre praktische Verbindung. Theoretisch widersprüchlich Bleibendes läßt sich praktisch allemal verbinden, sobald ein Bewußtsein für die Unterschiede entwickelt ist. Das heißt nicht, auf Theorie verzichten zu können, auch nicht in praktischer Absicht. Eine Verbindung heterogener Konzeptionen kann dem einzelnen Erzieher schlecht angetragen werden, solange die Kontroverse über sie in gesellschaftliche Antagonismen eingelagert ist und mit rivalisierenden Parteiungen verbunden wird, die die eine Seite betonen und gegen die andere ins Feld führen. Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, daß die Verbindung von heterogenen und miteinander im Streit liegenden Konzeptionen zwar theoretisch durchdrungen werden muß, nicht auf abstrakt-begriffliche Weise geleistet werden kann. Theorie wie Praxis muß an konkrete Lebensformen zurückgebunden werden muß, die das Widersprüchliche nicht ausschließen, sondern zu leben wissen. Es muß deshalb in einem weiteren Schritt nach verbindenden Lebensformen zweiten Grades gesucht werden, die die geforderte Mehrseitigkeit als Medium sittlicher Erziehung nicht nur dulden, sondern die verlangten Integrationsleistungen auch zu erbringen vermögen. Das Gespräch als Ort und Lebensform sittlicher Erziehung In diesem Sinne möchte ich als eine dritte, verbindende Konzeption das Gespräch vorschlagen als eine Lebensform, die zur Form sittlicher Erziehung in dem hier gemeinten doppelten Sinne werden kann. Das Gespräch, als Lebensform verstanden, trägt beiden genannten Konzeptionen in gleicher Weise Rechnung, es verbindet ihre beiderseitigen Vorzüge und mildert die mit ihrer einseitigen Ausprägung verbundenen Schwächen. Bevor dieser Gedanke in der eingeschlagenen Richtung weiter ausgeführt werden kann, ist es nötig, auf das Verhältnis von Mensch und Sprache im allgemeinen zurückzukommen. Es wurde bereits festgestellt, daß eine präskriptive und imperativische Sprachform den moralischen Inhalt ihrer Weisung nicht bereits garantiert und als solche noch nichts zur sittlichen Bildung des Menschen beiträgt. Eine solche Sprachform liegt auch den unsittlichen Verhältnissen zugrunde und ist in ihrer ausschließlichen Verwendung auf diese beschränkt. Demgegenüber ist es nötig, auf andere Formen des Miteinanderredens zu rekurrieren, die moralisch nicht neutral sind und deren Bedeutung sich nicht auf Handlungsanweisungen reduzieren läßt. Medium einer so verstandenen Sprache ist nicht das Tun, sondern das Denken, in dessen Horizont jenes erst seine menschliche Bedeutung erhält. Eine moralische Reflexion kann nur gemeinsam sein und bezogen auf die je eigene leibliche, seelische und geistige Verfassung. Das Gute muß in ihr am eigenen wie am fremden Tun und Ergehen aufgezeigt, benannt und ausgezeichnet werden und kann nur so auch ein solches sein. Das Miteinandersprechen schafft in der Verbindung der Menschen und Zeiten selber eine moralische Verbindlichkeit. Es ist die Bedingung der Möglichkeit, sich in den Ort des Anderen zu versetzen und von daher zu verstehen. Wenn nun aber die menschliche Realität eine ausgesprochene, mitgeteilte und in der Mitteilung verstandene Realität ist, hat auch das Moralische seine eigentliche Wirklichkeit in der Sprache und nur durch diese auch im Tun. Der Mensch ist als ein moralisches Wesen selbst Sprache und Zeichen. Die zentrale Form, in der die menschliche Gemeinschaft sich als Sprache realisiert, ist das Gespräch. Es ist konstitutiv für die sittliche Wirklichkeit, weil nur in ihm ein freies Verhältnis von Menschen zustande kommen und sich unerachtet aller Zwänge und Brechungen durchhalten kann. Nicht der Konsens, sondern die Friktionen der Wechselrede sind für die Gesprächsform konstitutiv. Die Weise des Gesprächs ist die Anregung und nicht die Nötigung. Den Gedanken der freien, nicht verletzenden Vermittlung des auf keine Weise auszuschließenden Widerspruchs aufnehmend, kann man sagen: Das menschliche Gute realisiert und erfüllt sich im Gespräch. Die Bedingungen seiner Möglichkeit sind identisch mit den Bedingungen der Ausbildung einer sittlichen Haltung. Was ein nie zu erzwingendes Gespräch zustande bringt und unterhält, fördert auch das sittliche Wesen des Menschen. Die Bedingungen des Gesprächs sind nicht außerhalb von ihm schon vorhanden; es bildet vielmehr seine eigenen Voraussetzungen durch sich selbst erst aus und wirkt darin dem ständigen Verfall der Gemeinschaft entgegen. Hier ist Gehlen recht zu geben: „Das Zeitalter der Vermassung ist das Zeitalter der kleinen Sondergruppierungen, der Vertrauensbeziehungen, für die man sich einsetzt und wirklich etwas tut, der Teams, die Gleichgesonnene kooptieren. alle diese kleinen Bindungen zusammen machen so etwas wie den Zement des Gesamtgebäudes der Gesellschaft aus. Was so laut den Vordergrund einnimmt: die großen Zweckorganisationen und die hineingeschütteten Einzelnen, das ist keineswegs die ganze Wahrheit.“ Auch wenn so über die verhandelten Inhalte noch gar nichts ausgesagt ist, meine ich, daß die gepflegte und durchgehaltene Gesprächsform selbst als solche schon eine sittliche Wirkung, ja die entscheidende sittliche Wirkung hat. Ohne die Gemeinschaft des Denkens im Gespräch gäbe es auch keine Gemeinsamkeit des Tuns und keine moralische Qualität der Handlung. Ich verstehe das Gespräch hier also nicht in einem unbestimmten Sinn als stellvertretend für alle möglichen Redeformen, sondern ganz spezifisch als die einzige menschliche Lebensform, die die volle Freiheit aller Teilnehmer wahrt und zugleich die größte Verbindlichkeit zwischen ihnen schafft. Die Freiheit des Gesprächs ist auch für das moralische Sichverstehen konstitutiv. Ein so verstandenes Gespräch hat keine Instanz der Entscheidung außer sich selbst: Was man als Hörbereitschaft und Verständigungsmöglichkeit in das Gespräch einbringen kann, ist in ihm erst gewachsen. Nun wäre es nicht schwer, in der Form des Gesprächs alle jene Züge nachzuweisen, auf die es mir auch in den bisherigen Erörterungen ankam: seine Wechselseitigkeit und Solidarität, den ständigen Rückgang auf allgemeine Lebensansichten ineins mit einer zunehmenden Konkretisierung und Erhellung der Situation, seine Verträglichkeit für bleibende Differenzen und schließlich seine Kraft, Verfremdungen abzubauen und Versteifungen wieder zu lösen. Ein Gespräch ist bekanntlich ja nicht nur zwischen Vertrauten, sondern auch und gerade zwischen Fremden möglich. Wenn sich die Grenzen der Gesprächsbereitschaft nicht vorweg abstecken lassen, folgt schon aus der grundsätzlichen Möglichkeit des Gesprächs, daß ein sittlicher Konsens erreichbar sein muß und der Relativismus der Weltanschauungen nicht das letzte Wort hat. Die im Gespräch verwirklichte Gemeinschaft bedarf deshalb, um offen zu bleiben, einer doppelten Polarisation. In ihm verbinden sich die kleinen Kreise der Lebensgemeinschaften, die sich nur in beständigen und intensiven persönlichen Beziehungen erfüllen können. Zugleich aber hat das Gespräch die Tendenz, über den kleinen Kreis hinaus am allgemeinen Geschehen teilzunehmen und die engen Verhältnisse nach außen hin zu öffnen. Die sittliche Verpflichtung wird zwar geboren im persönlichen Bezug von Menschen, aber sie muß diesen notwendig überschreiten und Verantwortung für das Ganze übernehmen. In der nicht institutionalisierbaren Jeweiligkeit seines Zustandekommens bildet sich im Gespräch auch das öffentliche Bewußtsein aus. Auch die weite Beziehung ist notwendig sprachlicher Natur und kann vom Handeln, das einen engeren Radius hat, nur teilweise übernommen werden. Verbindet man im Gespräch das Individuelle und das Allgemeinmenschliche, das Lokale und das Globale, so kann sich daraus erst ein sittliches Bewußtsein ergeben, das die Zirkulation der engsten Beziehungen mit der Teilnahme am größeren Geschehen verbindet. Der für das Moralische konstitutive Doppelkreislauf verlangt, das Bewußtseim aus seinen einseitigen Festlegungen, sei es auf die Gefühlssphäre oder auf das Rationale, herauszubringen und beides füreinander zu öffnen. Wo man in der Übernahme öffentlicher Verantwortung auf emotionale Bereitschaften nicht mehr kann, muß die denkende Einsicht sagen was zu tun ist. Sie kann es aber nur, wenn sie auf jene Wurzelregion zurückbezogen bleibt, aus der menschliches Tun und Lassen sich speist. Grenzen der Gesprächsführung Gleichwohl muß man auch die Grenzen der Gesprächsführung sehen in einer Gesellschaft und Erziehung, die trotz aller guten Vorsätze und Ideale ohne Druckmittel und Zwänge nicht auskommen zu können glaubt. Es nützt nichts, das Ideal einer offenen Beziehung und zwangsfreien Erziehung aufzustellen, solange man nicht gelernt hat, mit den nach wie vor bestehenden Zwängen und Nötigungen anders als bisher umzugehen. Innere und äußere Zwänge und Zwangslagen lassen sich nicht einfach aus der Welt schaffen, und ein Ende der Gewalt tritt nicht von selber ein. Wie aber soll das Dilemma des Umgangs mit Gewalt so gelöst werden, daß diese aufhört, in endloser Kette Gleiches mit Gleichem zu vergelten? Gleich dilemmatisch können die menschlichen Bindungen werden. Was soll man z. B. mit verstörten Kindern tun, die, aus welchen Gründen auch immer, den Kontakt verweigern, autistisch werden und für pädagogisches Handeln nicht mehr ansprechbar sind? Hier muß man lernen mit Verweigerungen und Widerständen umzugehen, die Ausdruck eines inneren Gefängnisses sind und gar nicht mehr dem freien Willen unterliegen. Der so sich manifestierenden Gewalt gegenüber ist auch das Gespräch oft hilflos und der moralische Appell müßig. Wie soll der Erzieher mit einer durch Verweigerung, Angst und Aggression bestimmten Beziehungsdynamik umgehen, in der er das Kind nicht mehr erreicht. Man kommt hier nicht umhin, nach hilfreichen Formen von gewaltfreier Gegen-Gewalt zu suchen, die die Kette sprengen und geeignet sind, aus den für beide Seiten ausweglos werdenden Abwehrhaltungen herauszuführen. Bei autistischen Kindern bewährt sich oft die paradoxe bzw. übergegensätzliche Methode des „Festhaltens“ (forced holding), mit der man dem wegfliehenden und den Kontakt zu anderen wie zu sich selber verlierenden Kind einen ‛Kontakt im Widerstand’ anbietet und den inneren Zwang gleichsam durch den äußeren Zwang erlöst. Hier führt erst die schmerzliche Erfahrung des Scheiterns der Liebe zu der Einsicht, daß man die Alternative einer zwingenden oder freigebenden Erziehung hinter sich lassen muß, um der Schwierigkeit der Lage gerecht werden zu können. In letzter Instanz ist Gewalt nur durch eine Verbindung von Liebe und Gewalt zu erlösen. Im Kontext einer solchen, selber paradox werdenden und darin widersprüchlich erscheinenden Handlungsanweisung werden alle Handlungen mehrsinnig und nehmen eine übergegensätzliche Form an. Es gilt hier nicht mehr die alte logische Gleichung: daß Zwang zu Zwang führt und Freigabe zu Freiheit, und daß in pädagogischer Absicht beides säuberlich getrennt gehalten werden muß. Erst das Ärgernis paradoxer Handlungsanweisungen begründet auch die Möglichkeit des Umschlags in eine neue Qualität. Mit anderen Worten kann jeder in die Beziehung eingebrachte Wirkungsfaktor eine positive oder negative Wertigkeit annehmen. Gewechselt werden kann diese nur gemäß dem gemeinsamen Nenner, der den Gesamtvorgang bestimmt. Der Gesamtvorgang kann folglich nur umgestimmt werden, wenn die heterogenen Qualitäten der Flucht und der Nähe, des Widerstandes und des Kontakts, der Bindung und Freiheit, Angst und Liebe sich innerlich berühren und in paradoxer Koinzidenz ineinander umschlagen. Es sind dieselben Ängste, Zwänge und Fluchten, die einen Fall hoffnungslos machten und die nun an der befreienden Lösung mitarbeiten, ja in Verbindung mit der Liebe einen Hauptanteil an ihr haben können. Die Konsequenz aus dem Gesagten ist, daß nur der, der beides: seine Gewaltphantasien und seine Freiheitsideale, hinter sich lassen kann, in schwierigen und aussichtslos scheinenden Lagen wirksame Hilfe zu leisten vermag. Das Fazit aus der Arbeit mit schwererziehbaren borderline-Kindern lautet: „Liebe allein genügt nicht.“ (Bruno Bettelheim ) Unklarheiten und Mißverständnisse sind bei paradoxen Handlungsanweisungen nicht auszuschließen, weil mit jeder Handlungsweise Verschiedenes, ja Gegensätzliches gemeint sein kann; von außen her kann man sie gar nicht beurteilen und schon gar nicht in eine Alternative pressen. Um so mehr bedarf es einer gesteigerten Achtsamkeit, Sensibilität und Vertrauensbereitschaft. Ohne solche Tugenden geht es nicht, wenn alles darauf ankommt, zu spüren und spüren zu lassen, was das ist was getan wird. Das äußerlich verwechselbar Erscheinende ist in Wirklichkeit gar nicht verwechselbar. Es liegt immer in der Erfahrung einer positiven Qualität, von der letztlich alles abhängt. Einziges Kriterium ist dann der Verlauf des Prozesses selbst, der den guten Sinn einer Sache von ihrem Mißbrauch unterscheidet. Verallgemeinernd kann gesagt werden, daß alles und jedes, was in der Erziehung getan wird, einen verderblichen und einen guten Sinn annehmen kann, je nach dem Kontext und der Art und Weise des Umgangs damit. Nicht das Was im Sinne äußerer Etikettierung, sondern das Wie des Umgangs mit einer Sache entscheidet über deren Qualität. Dies verlangt Vorurteilsfreiheit im Umgang mit gegebenen Möglichkeiten, die nicht an einem wertenden Alternativschema gemessen werden dürfen. Viele Möglichkeiten tun sich erst in einem ‛Jenseits von Eden’ auf, auch und gerade die moralisch gebotenen Möglichkeiten. Insofern darf auch die Ethik auch nicht vor der Paradoxie Halt machen. Vorurteilsfrei im wissenden Sinne kann nur der sein, der sich in seinem Geschäft nicht mehr von Wertungsalternativen leiten läßt und das wirkliche Entweder-Oder an einer anderen Stelle sucht. So kann auch die Gewalt eine Äußerungsform sein, die je nach dem ihr zugrunde liegenden Motiv in die Hölle führt oder den Weg aus ihr heraus zeigt. EINLEITUNG Die Begründung von Moralität im Spannungsfeld zwischen emotionaler Verankerung von Werthaltungen und moralischer Aufklärung und Kritik In den älteren Formen moralischer Erziehung ging es im Zusammenhang mit der Tugendlehre und Herbarts Konzeption einer Erziehung zur sittlichen Charakterstärke grob gesagt um die emotionale Verankerung von Werthaltungen, in sozialwissenschaftlicher Terminologie gesprochen um die Internalisierung von Normen und Werten auf dem Wege der Identifikation. Eine solche Identifikation und Nachahmung kann unterstützt werden durch idealisierende Formen der Darstellung vorbildlichen Lebens, wie es in geschichtlichen Gestalten zutage tritt. Besonders wichtig erscheint in diesem Zusammenhang jedoch die unmittelbare Teilnahme an prägenden Lebensformen und ihre Einübung im Miterleben, Mitwollen und Mittun. Ein Lernen dieser Art ist in der neueren Didaktik häufig kritisiert worden, fehlt ihm doch gänzlich das Moment rationaler Widerspruchsfreiheit und der Ansatzpunkt für Kritik. Man kann jedoch davon ausgehen, daß gelebte Teilnahme und Mitvollzug für jede Form von gelingender Erziehung nach wie vor von fundamentaler Bedeutung ist. Der neuere, von vielen Erziehern und Lehrern bevorzugte Typus sittlicher Erziehung folgt dagegen dem Zug des Aufklärungsdenkens und zentriert sich auf die Reflexion, Begründung und Kritik von Geltungsansprüchen, seien diese gesellschaftlicher oder moralischer Natur. Die Frage nach der Legitimität von Geltungsansprüchen folgt einem rationalen Handlungstypus und rekurriert auf die im Rahmen zweckfunktionaler Systembetrachtung entwickelten Mittel zur Entscheidungsfindung, Konsensbildung und Kritik. Daß beide Konzeptionen sich reiben und im Prinzip ausschließen, ist unmittelbar einsichtig. Aber es ist nicht leicht eine Entscheidung zwischen ihnen zu treffen. Beide haben im Blick auf die sittliche Erziehung ihre je besonderen Vorteile, aber auch ihre spezifischen Mängel und verhalten sich darin komplementär zueinander. Dies legt bei aller Gegenläufigkeit in der Tendenz eine Verbindung nahe, und dies um so mehr, als jede der beiden Konzeptionen für sich genommen ethisch zweideutig bleibt und der Moralität wie ihrem Gegenteil in gleicher Weise dienen kann. Das Bemühen um die emotionale Verankerung von Werthaltungen hat darin ein unbestreitbares Recht, daß hier auf der Seite praktischer Verwirklichung angesetzt wird und das Augenmerk auf den prägenden und emotional befriedigenden, also motivierenden und handlungsbestimmenden Formen liegt. Problematisch erscheint jedoch, daß derartige Lernprozesse weithin unbewußt verlaufen und sich einer rationalen Aufklärung und Kritik oft genug widersetzen. Sie begünstigen eine Tendenz auf Konformität im Denken und Verhalten und führen leicht zur Verabsolutierung der eigenen Position. Aber auch der mehr theoretisch zentrierte, rationale Typus moralischer Aufklärung bleibt ethisch zweideutig und in der unmittelbaren pädagogischen Anwendung nicht ohne Bedenken. Gegen ihn ließe sich einwenden, daß er mit seinem relativierenden Hinterfragen und Problematisieren möglicherweise zu früh einsetzt und bezüglich der Wahrnehmung von Strukturzusammenhängen das Kind überfordert. Vor allem aber haftet ihm die tiefere Zweideutigkeit an, daß Reflexionen dieser Art auch trickreiche „Rationalisierungen“ (im psychoanalytischen Sinn des Worts) sein können, die ebenso wie die Emotion selbstblind machen und das ihnen zugrunde liegende Verhaltensmotiv nicht an die richtige Stelle rücken und aufarbeiten können. Aber auch der Umstand, daß der Stellenwert rationaler Überlegung hinsichtlich des Handelns hier oft überschätzt wird, kann einer so begründeten sittlichen Erziehung zum Nachteil gereichen. Und schließlich muß man das sich zwingender Logik bedienende Rechthabenwollen des Verstandesdenkens in Anschlag bringen und dem entgegenhalten, daß auch die Wahrheitsbehauptung oft nur ein Trick zur Überredung ist. Rationalität muß also nicht eo ipso von höherer moralischer Qualität sein, sie kann der gemeinsamen Verständigung und einer vernünftigen Praxis ebenso dienen wie der Rechthaberei und der Abwehr von konkreten Ansprüchen, denen gegenüber man es vorzieht auf die allgemeine Ebene auszuweichen. Auf beiden Seiten gibt es somit Vorzüge, aber auch Defizite und entsprechende Fehlformen einer sittlichen Erziehung. Während die emotionale Verankerung von Werthaltungen leicht zu direkten Abhängigkeiten führt, kommen auf der Ebene der Reflexion bevorzugt die mit der Negation verbundenen, aber nicht weniger bindenden Gegenabhängigkeiten (counter-dependencies) zum Tragen. Um der ethischen Zweideutigkeit in beiden genannten Konzeptionen entgegenzuwirken, legt sich ihre ausdrückliche Verbindung nahe, und dies um so mehr, als sie sich auch in ihren Vorzügen und Stärken komplementär zueinander verhalten. Daß die ältere Konzeption der emotionalen Verankerung von Werthaltungen oft nicht genügend zwischen sozialer Geltung und moralischer Verpflichtung unterschieden hat und auch in den Mitteln sittlicher Erziehung freie Ansprache und soziale Nötigung nicht sorgsam trennte, läßt sich kompensieren durch eine moralische Reflexion, der es gerade auf diese Differenzen und auf die Übereinstimmung zwischen Zielen und Mitteln ankommt. Auch das chronische Begründungs- und Legitimationsdefizit autoritätsbezogener Lern- und Erziehungsformen ließe sich durch die Möglichkeit rationaler Begründung und Reflexion ausgleichen. Auf der anderen Seite aber könnte die freischwebende Reflexion in stärkerem Maße zurückgebunden werden an soziale Realitäten, die Individuallage und das konkret anstehende Handeln. Der für jede Form von moralischer Bewährung verlangte Test auf die Praxis enthebt das rationale Argumentieren der Gefahr, im Zeichen der Ideologiekritik unter der Hand selber ideologisch zu werden. Daß es beide, dem Typus nach zu unterscheidende Lern- und Bewußtseinsformen faktisch gibt und daß beide für den Menschen gleichermaßen unentbehrlich sind, bedarf keines besonderen Nachweises. Die moderne Gehirnforschung tut ein übriges, um die Tatsachen und Probleme eines strukturell und funktional gedoppelten Bewußtseins ins Licht zu rücken. Wenn auch hier das Erfordernis der Verbindung beider ‘Hälften’ betont wird, möchte ich hinsichtlich der sittlichen Erziehung noch einen Schritt weitergehen und behaupten, daß nur in ihrer Verbindung die Möglichkeit einer moralischen Qualität enthalten, wenn auch nicht schon gewährleistet ist. Die geforderte Verbindung muß deshalb nach beiden Seiten hin sowohl affirmativ als auch selbstkritisch sein. Das Positive beider Konzeptionen so zu verbinden, daß sich ihre Mängel gegenseitig kompensieren, ist allerdings keine einfache Aufgabe, weil sie der praktischen Tendenz nach gegenläufig sind und im theoretisch bestimmten reinen Fall sich geradezu ausschließen. Eine theoretische Vereinigung dürfte aus diesem Grunde kaum möglich sein, wohl aber ihre praktische Verbindung. Auch theoretisch widersprüchlich Bleibendes läßt sich praktisch allemal verbinden, sobald ein Bewußtsein für den Unterschied beider Konzeptionen entwickelt ist. Nun kann eine Verbindung heterogener Konzeptionen, selbst wenn sie wünschenswert ist, dem einzelnen Erzieher schlecht angetragen werden, solange die Kontroverse über sie in gesellschaftliche Antagonismen eingelagert ist und mit rivalisierenden politischen Parteiungen verbunden wird, die nur die eine Seite betonen und gegen die andere ins Feld führen. Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, daß die Verbindung von heterogenen und miteinander im Streit liegenden Konzeptionen nicht auf abstrakt-begriffliche Weise geleistet werden kann und selber wiederum an konkrete Lebensformen zurückgebunden werden muß, die das Widersprüchliche nicht ausschließen, sondern beide Seiten leben können. Es muß deshalb in einem weiteren Schritt nach einer verbindenden Lebensform dritten Grades gesucht werden, die die geforderte Mehrseitigkeit als Medium sittlicher Erziehung nicht nur duldet, sondern die verlangten Integrationsleistungen auch zu erbringen vermag. Das Gespräch als Ort und Lebensform sittlicher Erziehung In diesem Sinne möchte ich als eine dritte, verbindende Konzeption das Gespräch vorschlagen als eine Lebensform, die zur Form sittlicher Erziehung in dem hier gemeinten doppelten Sinne werden kann. Das Gespräch, als Lebensform verstanden, trägt beiden genannten Konzeptionen in gleicher Weise Rechnung, es verbindet ihre beiderseitigen Vorzüge und mildert die mit ihrer einseitigen Ausprägung verbundenen Schwächen. Bevor jedoch dieser Gedanke in der eingeschlagenen Richtung weiter ausgeführt werden kann, ist es nötig, noch einmal auf das Verhältnis von Mensch und Sprache zurückzukommen und in ihm das moralische Bewußtsein zu verankern. Es wurde bereits festgestellt, daß die präskriptive und imperativische Sprachform nicht bereits den moralischen Inhalt ihrer Weisung garantiert und als solche noch nichts zur sittlichen Bildung des Menschen beiträgt, weil sie ebenso den autoritären und unsittlichen Verhältnissen zugrunde liegt und in ihrer ausschließlichen Verwendung auf diese beschränkt wäre. Es ist vielmehr nötig, andere Formen des Miteinanderredens beizuziehen, die moralisch nicht neutral sind und deren Bedeutung sich nicht auf Handlungsanweisungen reduzieren läßt. Ihr Medium ist primär nicht das Tun, sondern das Denken, in dessen Horizont jenes erst seine menschliche Bedeutung erhält. Eine moralische Reflexion kann nur gemeinsam und bezogen auf die eigene, leibliche und seelische Verfassung vollzogen werden. Das Gute muß in ihr am eigenen wie am fremden Tun und Ergehen aufgezeigt, benannt und ausgezeichnet werden, um überhaupt ein solches zu sein. Das Sprechen selber schafft auf diese Weise in der Verbindung der Menschen und Zeiten eine moralische Verbindlichkeit. Es ist die Bedingung der Möglichkeit, sich in den Ort des Anderen zu versetzen und von daher zu verstehen. Ist aber die menschliche Realität eine ausgesprochene, mitgeteilte und in der Mitteilung verstandene Realität, dann hat auch das Moralische seine eigentliche Wirklichkeit in der Sprache und nur durch sie auch im Tun. Der Mensch ist als ein moralisches Wesen selbst Sprache und Zeichen. Die zentrale Form aber, in der die menschliche Gemeinschaft sich als Sprache erfüllt, ist das Gespräch. Es ist konstitutiv für die sittliche Wirklichkeit, weil nur in ihm ein freies Verhältnis von Menschen zustande kommen und sich unerachtet aller Brechungen durchhalten kann. Die Friktionen der „Wechselrede“ sind für die Gesprächsform konstitutiv. Seine Weise ist die Anregung und nicht die Nötigung. Den früheren Gedanken der freien Vermittlung des auf keine Weise auszuschließenden Widerspruchs wieder aufnehmend, kann man sagen: Das menschliche Gute erfüllt sich im Gespräch. Die Bedingungen seiner Möglichkeit sind identisch mit den Bedingungen der Ausbildung einer sittlichen Haltung. Was ein nie zu erzwingendes Gespräch zustande bringt und unterhält, fördert auch das sittliche Wesen des Menschen. Die Bedingungen des Gesprächs sind aber nicht außerhalb von ihm schon vorhanden; es bildet vielmehr seine eigenen Voraussetzungen durch sich selbst erst aus und wirkt darin dem ständigen Verfall entgegen. Hier ist Gehlen recht zu geben: „Das Zeitalter der Vermassung ist das Zeitalter der kleinen Sondergruppierungen, der Vertrauensbeziehungen, für die man sich einsetzt und wirklich etwas tut, der Teams, die Gleichgesonnene kooptieren. alle diese kleinen Bindungen zusammen machen so etwas wie den Zement des Gesamtgebäudes der Gesellschaft aus. Was so laut den Vordergrund einnimmt: die großen Zweckorganisationen und die hineingeschütteten Einzelnen, das ist keineswegs die ganze Wahrheit.“ Auch wenn so über die verhandelten Inhalte noch gar nichts ausgesagt ist, meine ich, daß die gepflegte und durchgehaltene Gesprächsform selbst als solche schon eine sittliche Wirkung, ja die entscheidende sittliche Wirkung hat. Ohne die Gemeinschaft des Denkens im Gespräch gäbe es auch keine Gemeinsamkeit des Tuns und keine moralische Qualität der Handlung. Ich verstehe das Gespräch hier nicht in einem unbestimmten Sinn als stellvertretend für alle möglichen Redeformen, sondern ganz direkt als die einzige menschliche Lebensform, die die volle Freiheit aller Teilnehmer wahrt und zugleich die größte Verbindlichkeit zwischen ihnen schafft. Seine Freiheit ist auch für das moralische Sichverstehen konstitutiv. Dieses hat keine Instanz der Entscheidung außer sich selbst: Was man als Hörbereitschaft und Verständigungsmöglichkeit in das Gespräch einbringen kann, ist in ihm erst gewachsen. Nun wäre es nicht schwer, in der Form des Gesprächs alle jene Züge nachzuweisen, auf die es mir in den bisherigen Erörterungen ankam: seine Wechselseitigkeit und Solidarität, den ständigen Rückgang auf allgemeine Lebensansichten ineins mit einer zunehmenden Konkretisierung und Erhellung deiner Situation, seine Kompromißbereitschaft und Verträglichkeit gegenüber bleibenden Differenzen und schließlich auf seine Kraft, Versteifungen wieder zu lösen und Verfremdungen abzubauen. Das Gespräch ist nicht nur zwischen Vertrauten, sondern auch und gerade zwischen Fremden möglich. Lassen sich aber die Grenzen der Gesprächsbereitschaft nicht vorweg abstecken, so folgt schon aus der grundsätzlichen Möglichkeit des Gesprächs, daß ein sittlicher Konsens erreichbar sein muß und der Relativismus nicht das letzte Wort hat. Die im Gespräch verwirklichte Gemeinschaft bedarf jedoch, um offen zu bleiben, einer doppelten Polarisation. In ihm verbindet sich einmal der kleine Kreis der Lebensgemeinschaften, die sich nur in beständigen und intensiven persönlichen Beziehungen erfüllen können. Zugleich aber hat das Gespräch die Tendenz, über den kleinen Kreis der Partikularitäten hinaus am allgemeinen Geschehen teilzunehmen und die engen Verhältnisse nach außen hin zu öffnen. Die sittliche Verpflichtung wird zwar geboren und faßt sich im persönlichen Bezug von Menschen, aber sie muß diesen notwendig überschreiten und Verantwortung für das Ganze übernehmen. In der nicht institutionalisierbaren Jeweiligkeit seines Zustandekommens bildet das Gespräch somit auch ein öffentliches Bewußtsein aus. Auch diese weite Beziehung ist notwendig sprachlicher Natur und kann vom Handeln, das einen engeren Radius hat, nur teilweise übernommen werden. Verbindet man auf diese Weise das Lokale und das Globale, so ergibt sich erst daraus das integre sittliche Bewußtsein, das eine Zirkulation der engsten Beziehungen mit der Teilnahme am größeren Geschehen verbindet. Der für das Moralische konstitutive Doppelkreislauf verlangt, dieses aus seinen einseitigen Festlegungen, sei es auf die Gefühlssphäre oder auf das Rationale, herauszubringen und beides füreinander zu öffnen. Wo man in der Übernahme öffentlicher Verantwortung auf emotionale Bereitschaften nicht mehr warten kann, muß die Erkenntnis sagen, was zu tun ist. Sie kann es aber nur, wenn sie auf jene Wurzelregion zurückbezogen bleibt, aus der menschliches Tun und Denken sich speist. Grenzen der Gesprächsführung Gleichwohl muß man auch die Grenzen der Gesprächsführung sehen in einer Gesellschaft und Erziehung, die trotz aller guten Vorsätze und Ideale ohne Druckmittel und Zwänge nicht auskommen zu können glaubt. Es nützt nichts, das Ideal einer offenen Beziehung und zwangsfreien Erziehung aufzustellen, solange man nicht gelernt hat, mit den nach wie vor bestehenden Zwängen und Nötigungen anders umzugehen. Innere und äußere Zwänge und Zwangslagen lassen sich nicht einfach aus der Welt schaffen. Ein Ende der Gewalt tritt nicht von selber ein. Wie aber soll das Dilemma des Umgangs mit Gewalt so gelöst werden, daß diese aufhört Gleiches mit Gleichem in endloser Kette zu vergelten? Was soll man z. B. mit verstörten Kindern tun, die, aus welchen Gründen auch immer, den Kontakt verweigern und für pädagogisches Handeln nicht mehr ansprechbar sind? Man muß nun lernen mit Widerständen umzugehen, die gar nicht mehr dem freien Willen unterliegen und Ausdruck eines inneren Gefängnisses sind. Der hier ausbrechenden Gewalt gegenüber ist auch das Gespräch oft hilflos und jeder Appell müßig. Ein alltägliches Beispiel ist die Ohnmacht des Erziehers, der mit einer durch Verweigerung, Angst und Aggression bestimmten Beziehungsdynamik nicht umgehen kann und das Kind nicht mehr erreicht. Man kommt hier nicht umhin nach hilfreichen Formen von Gegen-Gewalt zu suchen, die die Kette der Gewalt sprengen und geeignet sind, aus den für beide Seiten ausweglos gewordenen Abwehrhaltungen herauszuführen. Bei autistischen Kindern bewährt sich in diesem Sinne die paradoxe bzw. übergegensätzliche Methode des „Festhaltens“ (forced holding), mit der man dem wegfliehenden und den Kontakt zu anderen verweigernden wie zu sich selber verlierenden Kind einen Kontakt im Widerstand anbietet und so den inneren Zwang durch äußeren Zwang erlöst. Doch erst die schmerzliche Erfahrung des Scheiterns der Liebe kann zu der neuen Einsicht führen, daß man die Alternative einer zwingenden oder freigebenden Erziehung hinter sich lassen muß, um der Schwierigkeiten der Lage gerecht werden zu können. In letzter Instanz ist Gewalt nur durch eine Verbindung von Gewalt und Liebe zu erlösen. Im Kontext einer solchen selber „paradox“ werdenden und darin widersprüchlich erscheinenden Liebe sind alle Handlungen mehrsinnig und nehmen als solche eine übergegensätzliche Form an. Es gilt hier nicht mehr die logische Gleichung: daß Zwang zu Zwang führt und Freigabe zu Freiheit, und daß in pädagogischer Konsequenz beides säuberlich getrennt gehalten werden muß. Dies macht das Ärgernis paradoxer Handlungsanweisungen aus, es begründet aber auch die Möglichkeit des Umschlags in eine neue Qualität. Jeder in die Beziehung eingebrachte Wirkungsfaktor kann hier eine positive und/oder negative Wertigkeit annehmen und wird diese wechseln gemäß dem Nenner, der den Gesamtvorgang jeweils bestimmt. Der Gesamtvorgang aber kann umgestimmt werden, wenn die heterogenen Qualitäten der Flucht und der Nähe, des Widerstandes und des Kontakts, der Bindung und Freiheit, Angst und Liebe sich innerlich berühren und in paradoxer Ungleichung ineinander transformieren. Es sind dieselben Ängste, Zwänge und Fluchten, die den Fall hoffnungslos zu machen schienen und die nun an der befreienden Lösung mitarbeiten, ja in Verbindung mit der Liebe den Hauptanteil an ihr haben. Die Konsequenz des Gesagten ist, daß nur der, der beides: seine Gewaltphantasien und seine Freiheitsideale, hinter sich lassen kann, in schwierigen Lagen noch wirksame Hilfe zu leisten vermag. Das Fazit aus der Arbeit mit schwererziehbaren borderline-Kindern lautet: „Liebe allein genügt nicht.“ (Bruno Bettelheim ) Unklarheiten und Mißverständnisse sind dabei nicht auszuschließen, weil nun mit jeder Handlungsweise Verschiedenes, ja Gegensätzliches gemeint sein kann. Um so mehr bedarf es deshalb einer gesteigerten Achtsamkeit, Sensibilität und Vertrauensbereitschaft. Ohne eine solche geht es nicht, wenn alles darauf ankommt, zu spüren und spüren zu lassen, was ist und getan wird. Das äußerlich verwechselbar Erscheinende ist in Wirklichkeit nicht verwechselbar, denn es ist immer die Erfahrung einer Qualität, von der letztlich alles abhängt. Einziges Kriterium ist der Verlauf des Prozesses selber, der den guten Sinn einer Sache von ihrem möglichen Mißbrauch unterscheidet. Verallgemeinernd kann gesagt werden, daß alles und jedes, was in der Erziehung getan wird, einen verderblichen und einen guten Sinn annehmen kann, je nach dem Kontext und der Art und Weise des Umgangs damit. Nicht das Was im Sinne äußerer Etikettierung, sondern das Wie des Umgangs mit einer Sache entscheidet über deren Qualität. Dies verlangt Vorurteilsfreiheit im Umgang mit Möglichkeiten, die nicht einem wertenden Alternativschema geopfert werden dürfen. Viele Möglichkeiten tun sich erst in einem „Jenseits des Wertens“ auf, auch und gerade viele moralisch gebotenen Möglichkeiten. Insofern darf auch die Ethik vor der Paradoxie nicht Halt machen. Vorurteilsfrei im wissenden Sinne kann nur der sein, der sein Geschäft nicht mehr an Wertungsalternativen bindet und das wirkliche Entweder-Oder an einer anderen Stelle sucht. So kann auch die Gewalt eine Äußerungsform sein, die je nach dem ihr zugrunde liegenden Motiv in die Hölle führt oder den Weg aus ihr heraus zeigt.
Aktualisiert: 2020-04-10
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Güte

Güte von Heller,  Lieselotte
In sechzehn Fragmenten entfaltet die Autorin die fundamentale Bedeutung der Eigenschwingung des Menschen für seine geistige (spirituelle), physische und emotionale Entwicklung, so wie für ein sinnlich erfülltes und sittlich beglückendes, Sinn stiftendes Miteinander und Füreinander. Band I: Die Zwiespalte des Denkens, Fragmente I-XII Band II: Güte, Fragmente XII-XVI Der hier vorgelegte Band II erforscht die Eigentönigkeit vor allem im Blick auf den innermusikalisch (tonotop) vernetzten nervösen Organismus des Ohrs wie auch auf die spezifische Sensorik des Inneren Gehörs, mit welchem wir Menschen die Wahrhaftigkeit der Schönheit, Klarheit und Reinheit des Denkens und Sagens zu erkennen und zu verstehen vermögen. Dieses existentielle, schöpferische Vermögen der uns immer schon zur Disposition stehenden Sinneskräfte, stellt uns vor die universelle Aufgabe, außer uns und willentlich die nötigen Lebens-Räume zu bereiten, damit ‚bewohnbare‘ Lebenswelten sich immer wieder von neuem auftun können. Es sind im Grunde die Kräfte der menschlichen Sprachwelt, die ins Bewusstsein gehoben werden. Der betont kommerziellen Alltagswelt stellt die Autorin das dialogisch begründete, eigentönige Sprachvermögen des Menschen als Potential der Veränderung und Erneuerung eigener wie kollektiver Lebensformen an die Seite.
Aktualisiert: 2020-04-10
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Logik und Hermeneutik

Logik und Hermeneutik von Kümmel,  Friedrich
Logik und Hermeneutik haben sich noch nie bruchlos ineinander gefügt; zu verschieden sind die Grundlagen und die entsprechenden Verfahrensprinzipien. Klar definiert sind die Prinzipien der Aussagenlogik: Wahr bleibt Wahr; aus Wahrem kann nichts Falsches folgen. Aus Falschem folgt alles Mögliche, d. h., aus ihm kann nichts geschlossen werden. Schwieriger wird die Sache für die Prädikatenlogik, die umgangssprachliche Bedeutungen untersucht und nach logischen Kriterien aufeinander abzubilden unternimmt. Eindeutig definiert ist: Junggeselle = unverheirateter Mann. Sobald man aber die Art der Beziehungen zwischen Mann und Frau näher ins Auge faßt, findet man die unterschiedlichsten Spielarten. Und um noch ein anderes Beispiel anzuführen: Bei Synonymen oder im Verhältnis fremder Sprachen muß offen bleiben, ob eine identische Substitution der gleichen bzw. einander entsprechenden Wörter möglich ist. Kann man „mind“, „Verstand“, „spirit“, „Geist“ als gleichbedeutend setzen? Nur wenn das der Fall wäre, könnte man die Wörter in allen möglichen Kontexten füreinander einsetzen. Dies ist aber gar nicht möglich. Das bedeutet, daß die Suche nach einem analytischen Bedeutungskriterium gescheitert ist. Aber auch das Verständnis von Bedeutung als meaning (verständlicher sprachlicher Ausdruck) und als reference (Bezug auf einen objektiv vorgegebenen Sachverhalt) läßt sich nicht zur Deckung bringen. Bedeutungen sind etymologisch zu klären. Das ist aber ein ganz anderer Vorgang, als ob-jektive Sachverhalte zu benennen. Hier muß die Frage, was wahr und was falsch bzw. vage, mißverständlich oder gar widersprüchlich ist, of-fen bleiben. Die Hermeneutik geht davon aus, daß sich die Sprache im miteinander Sprechen zweier Gesprächspartner erfüllt. Der Autor hat sich zur Aufgabe gemacht, Differenzen dieser Art herauszuarbeiten und zu zeigen, daß im Logischen ein Hermeneutisches und im Hermeneutischen ein Logisches unverzichtbar enthalten ist. Der reine Logiker würde dem nicht zustimmen. Das auf Verstehen angelegte Gespräch aber muß notwendig davon ausgehen. Daß die mit beiden Verfahrensweisen verbundenen Methodologien verschieden sind, sich jedoch ergänzen müssen, ist eine notwendige Konsequenz der Überlegung. Mit ihr kann dem Streit über die „richtige“ Methode die Schärfe genommen werden.
Aktualisiert: 2020-04-10
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Die Zwiespalte des Denkens

Die Zwiespalte des Denkens von Giel,  Klaus, Heller,  Lieselotte
Wollen wir die Lebenskräfte unseres Eigentons in uns wecken und zu ihrer Entfaltung befreien, bedingt dies, dass wir uns einer strengen Praxis geistiger Übung befleißigen: des Horchens und Resonierens, des Gewahrens und Achtens und schließlich des schöpferischen Wollens, Sagens und Tuns. Es geht um eine Erneuerung der Zivilisation des Denkens und der Sinnlichkeit inmitten einer einzig von der Vernunft regierten Welt, deren geistige Substanz national wie global aus den Fugen zu geraten droht. Eine solche Erneuerung muss vom Menschen her erbracht werden, denn nur der Mensch ist dem Aus-den-Fugen-Geraten der Welt eine Antwort schuldig. In irgendeiner Weise ist jeder Erdenbürger singulär wie auch plural in das dichtgeknüpfte Netz menschlicher Errungen- und auch Machenschaften verwoben. Und niemand kann sich heute von seiner Gefangenschaft im Netz der maßlos gewordenen Vernunft aus eigenen Kräften befreien, es sei denn durch die Wandlung seines eigenen Denkens, das ihn weg vom inzwischen arg verwüstet und öde gewordenen Strand des Machbaren hin zu dem Quell der Wirklichkeit zu führen vermag als dem resonierenden Sein aller Lebewesen, das heißt zu dem unerschöpflich sprudelnden Gedächtnis der Zeit im Hier und Jetzt. Im Gedächtnis der Zeit sind die gesetzgebenden Kräfte des Tons geborgen, welche von der wahrhaft stimmhaften und sprachhaltigen Natur menschlichen Denkens, Sagens und Tuns zeugen. Es gilt, das Maß der eigenen Tonkraft wiederzufinden, das uns kosmisch, und das heißt schöpferisch mit Allem und mit jedem Lebewesen auf wunderbar universale Weise verbindet und uns gänzlich in die geistige Welt sprachlich einbindet. Sprachlich bewohnbare Orte und narrativ begehbare Pfade erst generieren den wirklichen Lebensraum des Menschen. Und die Tonkraft bestimmt die Architektur solch poetisch angereicherter Orte; Gärten der Stille – des Seins. Es gibt auf der Bewusstseinsebene der Eigentönigkeit weder gut noch böse, keine Trennung von Streu und Weizen. Das besagt jedoch keineswegs, dass das Gute wie auch das Böse auf Erden nicht existierte. Im existentiellen Sinn aber ist Beides, das ‚Gute‘ wie das ‚Böse‘, anders: die Güte wie die Verdammnis, das Wohl und das Wehe, als geistige Dimension in die Freiheit des Menschen und also auch in sein Vermögen gestellt; der Mensch zeitigt aus sich nur jene Lebensgeister, die im ausgesprochenen und also artikulierten Gedanken auch den Ton angeben.
Aktualisiert: 2020-04-30
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Spricht die Natur?

Spricht die Natur? von Kümmel,  Friedrich
Jeder Mensch spricht sich selber. Aber auf jeder Ebene hat er Mitsprecher und riskiert sich selbst durch die Art und Weise, wie er dieses gemeinsame Leben spielt. Es ist ihm möglich, Leib und Leben zu verspielen oder sorgsam damit umzugehen. Von der Art, wie er mit sich und anderen spielt, hängt es ab, was aus ihm und anderen in diesem Spiel wird. Die provozierende Frage: „Spricht die Natur?“ weist hin auf einen Mitspieler, der kein bloßer Mitlauter ist. Sie wird zugespitzt in einem zenbuddhistischen Koan: „Die Natur spricht, aber nur wenn wir lernen, sie mit den Augen zu hören“. Das erscheint paradox. Und doch ist Sprache und Stimme auf jeder Ebene untrennbar mit-einander verbunden. Nur eine interdisziplinäre Forschung und darauf bezogene Handlungsweise kann dem gerecht werden. Wie immer der Mensch sein Leben führt und sich verstehen will: Er lebt in der Natur, die auszubeuten und zu verwüsten ihm nicht ratsam ist. Die beiden Kronzeugen Otto Friedrich Bollnow (1903-1991) als Hermeneutiker und Josef König (1893-1974) als Logiker beziehen sich aufeinander, und dem Verfasser selbst liegt daran, Logik und Hermeneutik enger miteinander zu verbinden. Vgl. seine Bücher: „Der Streit um den Wissenschaftscharakter der Pädagogik und das Verhältnis von Theorie und Praxis“ (2011), „Logik und Hermeneutik“ (2013), „Hermeneutik als Methode, Möglichkeiten und Grenzen“(2014).
Aktualisiert: 2020-04-10
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Zeit und Freiheit

Zeit und Freiheit von Kümmel,  Friedrich
Klappentext Es scheint, daß die Pathologien des Umgangs mit der Zeit durch ihre Terminierung, Verknap-pung und Beschleunigung noch zugenommen haben und die ruhigen Zeiten vorbei sind. Um-so wichtiger ist es, sich über die Zeit Gedanken zu machen und zu fragen, was sie für den Menschen ist und bedeutet. Das sich theoretisch und praktisch stellende Zeitproblem hat von seiner Aktualität nichts eingebüßt. Dabei kann eine gravierende Diskrepanz nicht übersehen werden: Kosmisch rechnen wir mit unvorstellbar großen Zeiträumen, und im Alltag wird für uns die Verwendung jeder einzelnen Minute zu einem Problem. Wer aber mit der Uhr am Arm nur noch die Minuten zählt, setzt sich aus allem heraus, was vor sich geht, und kann es nur noch ‘abhaken’; ist das Ziel erreicht, so ist die Sache auch schon ‘erledigt’ und ‘hinter sich gebracht’. Je mehr wir die Zeit wie einen Meßbecher von außen her füllen, umso mehr verliert sie an wirklichem Inhalt und an Qualität. Damit beraubt man sich der Früchte der Zeit, die nur langsam und von innen her wachsen. Die zentrale These dieser Arbeit ist: Zeit ist Freiheit, und Freiheit Zeit. Wenn das in der Tat so ist, beweist das Diktat der Uhrenzeit einen Zustand extremer Unfreiheit im Umgang mit der Zeit. Ich erinnere an Michael Endes „Momo“, wo die ‘Zeitdiebe’ weis machen wollen, daß durch Schnelligkeit des Handelns Zeit gespart werden könne, und man hinterher feststel-len muß, daß von der vermeintlich eingesparten Zeit nichts mehr vorhanden ist. Ungewollte Erfahrungen dieser Art im Umgang mit der Zeit gibt es in Hülle und Fülle. Wo man nicht lernt mit ihnen umzugehen, verdichtet die Zeit sich zu einem immer engmaschigeren Netz, in dem man sich verstrickt. Es gibt für den Menschen zur Zeit und zur eigenen Freiheit keine Alternative. Wie aber kommt man im Umgang mit der Zeit aus den selbst erzeugten Fesselungen und Beraubungen wieder heraus? Und was kann es heißen, das Verhältnis von Zeit und Freiheit positiv zu reali-sieren? Werbetext Man kann den Zusammenhang von Zeit und Freiheit nicht eng genug sehen. Freiheit oder Un-freiheit entscheidet sich an der Art und Weise des Umgangs mit der Zeit. Daß der negative Gebrauch der Zeit mit wachsender Unfreiheit verbunden ist, erfahren wir täglich leidvoll. Immer mehr Zeit geht drauf mit nichts was sich lohnt, und für das, was Zufriedenheit und Er-füllung brächte, fehlt die Zeit. Dabei ist absehbar, daß diese Scherenbildung kein gutes Ende nehmen kann. Mehr denn je muß der moderne Mensch lernen, mit der Zeit sinnvoll umzugehen, und mehr denn je hat er das verlernt. Der Zeit-Streß wird zum physischen Streß und dieser zur Krankheit. Verlangt ist aber nicht nur die Heilung des Körpers, sondern auch die Heilung der Zeit. Bis heute träumt man von der Verjüngung, erhofft die Erlösung und hat nicht eingesehen, daß das im Zeichen der Freiheit in die eigene Hand gegeben ist. Zeit, Freiheit und Bewußtheit hängen eng miteinander zusammen, so daß das eine nicht gege-ben sein kann ohne das andere. Dies verlangt die konsequente Einhaltung des Realitätsprin-zips. Wenn was wirklich ist frei ist, entscheidet sich am Verhältnis zur Wirklichkeit, ob die eigene Freiheit realisiert wird oder sich in den gebundenen Formen der Unfreiheit von dieser ablöst. Das Kriterium für diese doppelte Möglichkeit ist die Zeit und der Zustand, in den man sich in ihr bringt.
Aktualisiert: 2020-04-10
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Der Streit um den Wissenschaftscharakter der Pädagogik und das Verhältnis von Theorie und Praxis

Der Streit um den Wissenschaftscharakter der Pädagogik und das Verhältnis von Theorie und Praxis von Kümmel,  Friedrich
Die Komplexität des pädagogischen Feldes und seiner Aufgaben erlaubt keine einseitigen Reduktionen. Auch genügt es nicht, wie seinerzeit, die Pädagogik der Psychologie und der Ethik oder den Sozialwissenschaften zuzuschlagen. Ohne eine Zusammenschau der verschiedenen Ebenen und Faktoren kommt man gar nicht aus. Verlangt ist die Zusammenarbeit der unterschiedlichsten Spezialisten und Generalisten. Kein methodologischer Standard und kein wissenschaftstheoretisches Paradigma läßt sich hier gegen andere ausspielen. Damit lösen sich die Fachgrenzen nicht auf aber sie rücken zugunsten interdisziplinärer Kooperationen an die zweite Stelle. Die Forschungsfelder selbst werden zunehmend interdisziplinär, und dies gilt auch für das Feld der pädagogischen Forschung. An die Stelle eines fruchtlosen Methodenstreits, wie er die bisherige Diskussion bestimmt hat, muß die Zusammenarbeit treten. Die in diesem Band versammelten Arbeiten nehmen das Thema an dieser Stelle auf und zeigen die Notwendigkeit einer Verbindung der verschiedenen Ansätze. Nicht nur in der Theorie sondern auch in der Praxis liegt hier noch viel im Argen. Obwohl die Pädagogik auch bisher schon als Integrationswissenschaft konzipiert war, hat sie es nicht vermocht, diesen Anspruch auch wirklich einzulösen. Erst heute zeichnen sich dafür weiterreichende Möglichkeiten der Zusammenarbeit verschiedenster Disziplinen ab.
Aktualisiert: 2020-04-10
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Otto Friedrich Bollnow – Rezeption und Forschungsperspektiven

Otto Friedrich Bollnow – Rezeption und Forschungsperspektiven von Boelhauve,  Ursula, Gantke,  Wolfgang, Giel,  Klaus, Klappenecker,  Gabriele, Kümmel,  Friedrich, Remme,  Marcel, Scholtz,  Gunter, Schüz,  Gottfried, Wimmer,  Reiner
Aus Anlaß des 100. Geburtstages von Otto Friedrich Bollnow (geb. am 14. März 1903) fand am 25. und 26. September 2003 in Hechingen ein Forschungskolloquium statt. Autoren unterschiedlicher Fachbereiche stellten ihre Forschungsarbeiten zu verschiedenen Aspekten des Werkes von Otto Friedrich Bollnow vor. Der Band enthält die überarbeiteten, z. T. stark erweiterten Beiträge zum Kolloquium und eine vom Herausgeber vorgenommene Zusammenfassung der sich jeweils anschließenden Diskussion. Die Publikation gibt einen Einblick in die vielfältigen Fragestellungen und Themenschwerpunkte, unter denen Bollnows Werk heute fachübergreifend rezipiert und produktiv gemacht wird. Otto Friedrich Bollnow hat zu seiner Zeit Schule gemacht und ein umfangreiches, viel gelesenes und gewürdigtes Werk hinter-lassen. Sein nach wie vor aktuelles, in mancher Hinsicht zeitloses Denken hat von seiner Relevanz für die gegenwärtigen Diskussionen nichts eingebüßt. Die Beiträge dieses Bandes geben einen lebendigen Eindruck davon, wie sein Werk in den verschiedensten Disziplinen aufgenommen und unter methodologischen und sachlichen Gesichtspunkten fruchtbar gemacht wird. Bollnows zahlreiche Bücher, Aufsätze und Besprechungen sowie die Übersetzungen sind in der vom Herausgeber dieses Bandes erstellten Homepage www.otto-friedrich-bollnow.de zugänglich gemacht. Hier finden sich auch bisher unbekannte Textentwürfe und Textvarianten, die für das Verständnis der Genese von Bollnows Denken unverzichtbar sind. Beim Verlag Königshausen & Neumann in Würzburg erscheint derzeit eine von Ursula Boelhauve, Gudrun Kühne-Bertram, Hans-Ulrich Lessing und Frithjof Rodi herausgegebene Studienausgabe der systematischen Hauptwerke des Philosophen und Pädagogen in 12 Bänden. Auf sie wird am Ende des Buches noch einmal gesondert hingewiesen.
Aktualisiert: 2020-04-10
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