Josef Angster. Das Tagebuch eines Orgelbauers
Franz Metz
Josef Angster (1834-1918) war nicht nur der bedeutendste Orgelbauer Ungarns sondern auch einer der erfolgreichsten Instrumentenbauer seiner Zeit. Dies belegen all die Instrumente die heute noch in den katholischen, evan-gelischen und jüdischen Gotteshäusern Ungarns erklingen. Die für ihn wichtigsten Ereignisse seines langen Lebens hat Angster in einem Tagebuch festgehalten, das hiermit zum ersten Mal vollständig in Druck erscheint.
Selbst dieses Tagebuch hat eine spannende und erwähnenswerte Geschichte. Ab seinem 18. Lebensjahr schrieb Angster seine Erlebnisse während der zehnjährigen Wanderschaft durch halb Europa nieder. Nach der Gründung der Orgelbauwerkstätte in Pécs/Fünfkirchen (1867) wurden alle Aktivitäten in den Tätigkeitsbüchern und durch zahlreiche Notizen festgehalten. All diese Texte hat Josef Angster in deutscher Sprache, also in seiner Muttersprache, verfasst und erst 1906 begann er diese Tagebücher für seine Kinder und Enkelkinder ins Ungarische zu übersetzen. In seinem Vorwort lesen wir: „In meiner Familie ging anfangs alles auf deutsch, erst als die Kinder in die Schule kamen, verdrängten sie die deutsche Sprache, uns Alte sozusagen übertrumpfend, wir kamen zu keinem Deutsch mehr. Von dann an war in unserem Familienkreise das Ungarische die vorherrschende Sprache, und so getraute ich mich nach 20 Jahren, 1906, an die Übersetzungsarbeit.“ Er wollte unbedingt all das Erlebte, für ihn Neuentdeckte und durch Müh und Fleiß sich angeeignete Wissen seinen Nachkommen schriftlich weiterreichen. Zu den Tage-buchaufzeichnungen aus der Zeit der Wanderschaft hat er seine Kindheitserinnerungen und die Notizen zu seiner Tätigkeit als Orgelbauer dazugenommen, wodurch diese umfangreiche Autobiographie erst entstehen konnte: Életrajza – Meine Lebensaufzeichnungen – betitelte er dieses einmalige Dokument, um 1940 sogar als Vorlage für einen Roman Verwendung fand. Die ungarische Schriftstellerin betitelte ihren Angster-Roman Ég és föld között – Zwischen Himmel und Erde.
Gleich zum Beginn teilt Josef Angster in seiner bescheidenen Art seinen Lesern mit: „… nehmen Sie das Buch so wie es ist. Der gute Wille war in mir, ich versuchte den Wünschen meiner Kinder zu genügen… Als Ungar bin ich ein Kind, als Schriftsteller ein ungeschulter Alter“. Das Buch ist also weniger eine Meisterleistung literarischer Art, als vielmehr ein originelles Sprachrohr seiner Zeit, ehrlich verfasst von einem jungen, strebsamen und äußerst aufmerksamen Menschen, der, aus den einfachsten Verhältnissen kommend, sich zu einem bedeutenden und geschätzten Unternehmer hochgearbeitet hat.
Die Wanderjahre verbrachte Angster 1854-1856 im Banat, 1856-1861 in Wien, danach folgten 1861-1862 die Lehrjahre in Deutschland, 1862-1863 in der Schweiz und zum Schluss vier Jahre, 1863-1866, in Paris.
Die Wanderung durch Deutschland ist in seinem Buch am ausführlichsten dokumentiert. In Köln, der Heimat des katholischen Gesellenvereins, lernte er die Vorteile einer solchen sozialen und kirchlichen Einrichtung näher kennen, von der er noch 60 Jahre später, in Fünfkirchen, mit größter Begeisterung berichten wird. Hier in Köln lernte er den Gründer dieses Hilfswerkes, Adolph Kolping, persönlich kennen, der ihm vor seiner Abreise das Wan-derbuch unterschrieben hat.
Josef Angster lernte auf seiner Wanderung 1861-1862 ein Deutschland kennen, das damals aus vielen Ländern, Monarchien und Fürstentümern bestand. Es war die Zeit nach den Wirren der Revolution von 1848-1849, durch die das nationale Bewußtsein erst langsam in den Vordergrund getreten ist. So sah er beim Karnevalsumzug in Köln einen Teilnehmer in einem schwarzen Frack, dessen einer Flügel rot und der andere gold gefärbt war und bemerkte dazu: „…vielleicht verspottete er dadurch die fehlende deutsche Einheit“. Bei Leipzig lernte er vor dem Gedenkstein der Verbündeten der Völkerschlacht aus dem Jahre 1813 einen alten Kriegsveteranen kennen, der ihm von diesem wichtigen europäischen Ereignis berichtet hat. In Berlin erlebte Angster 1861 die Krönungsfeierlichkeiten und berichtete über König Wilhelm I. in Generalsuniform, der von der großen Masse mit Begeisterung empfangen wurde. Gleichzeitig erfuhr Angster aber auch von den stattgefundenen Unruhen, die durch die Polizei sofort niedergeschlagen wurden. Bei einer Feier des Burschenvereins in Berlin, bei der er ebenfalls aktiv teilgenommen hat, erschien unerwartet Fürst Radziwill, der „mit Hochachtung“ empfangen wurde. Im Frankfurter Römer sah Angster eine Reihe von deutschen Fahnen mit der Aufschrift „Ein freies einiges Deutschland“. Kurz und lapidar stellt er fest: „Sie interessieren mich wenig, denn sie dienen Ideen der Revolution…“ – eine Ansicht, die damals viele Zeitgenossen mit ihm teilten.