Livius, Dionysios, Augustus, Machiavelli
Ein diskursanalytischer Vergleich der römischen Frühgeschichte bei Livius und Dionysios von Halikarnassos und die Rezeption ihrer livianischen Darstellung im Werk des Niccolò Machiavelli
Philip Haas
Das frühe Rom bildete über Jahrtausende einen politischen und moralischen Bezugspunkt für das ‚abendländische‘ Denken. Dabei war es stets Livius, der mit seinem Werk Ab urbe condita das Bild dieses Roms prägte. Wie sehr seine Darstellung der Stadt am Tiber, ihr Entstehen und unaufhaltsamer Aufstieg aufgrund moralischer Überlegenheit, auf Diskursen und Narrativen seiner eigenen Lebenswelt beruhte, nämlich dem Rom unter dem Prinzipat des Augustus, zeigt Philip Haas’ Studie. Nicht nur wird Livius’ Narration in Diskurse der augusteischen Literatur und Kultur eingebettet, sondern auch mit alternativen Erzählweisen der römischen Annalisten und des Dionysios von Halikarnassos verglichen, der zwar zur Zeit des Livius in Rom lebte und schrieb, aber seinen Lesern ein völlig anderes frühes Rom präsentierte.
Es war das frühe Rom des Livius mit all seinen Besonderheiten, welches in der Folgezeit eine ungeahnte Bedeutung gewann, wie die Untersuchung seiner Rezeption und Verargumentierung durch Niccolò Machiavelli zeigt. Der Florentiner begriff die Frühgeschichte der Stadt am Tiber als tatsächlich gemachte Erfahrungen und Erfolgsrezept gelungenen politischen Handelns eines Gemeinwesens. Einige seiner Zeitgenossen, insbesondere Francesco Guicciardini, kritisierten Machiavelli für die einseitige Konzentration auf Livius und verwiesen auf alternative Erzählungen. Dennoch tradierte Machiavelli zentrale Narrative und gestalterische Intentionen von Ab urbe condita und des augusteischen Roms an die Nachwelt und bereitete sie zu Maximen auf, welche das politische Denken bis heute prägen.