Glühwürmchen
Gedichte mit Zeichnungen von Ede Kahl
Edeltraut Kahl, Wolfgang Kniep
Lustig, ausgewogen und gesund!
(statt eines Vorworts)
Vor einiger Zeit habe ich ein Ritual meines Cousins übernommen, für das ich mir inzwischen jeden Abend zwei Minuten Zeit nehme:
Ich schließe die Augen, und stelle mir eine Balkenwaage vor, etwa so eine, wie Justitia sie in ihrer Hand hält. Der Balken ist aus alltäglichen Dingen geschmiedet, schönen – ein Dach über’m Kopf, satt zu Essen, eine liebe Familie – wie nicht so schönen – Stress, miese Mitmenschen, Verkehrschaos …
Alles, was darüber hinaus geht – positiv wie negativ – lege ich als kleine „Glühwürmchen“ in die beiden Waagschalen (bei mir ist das links die positive und rechts die negative).
So ist nicht zu vermeiden, dass mal die eine, mal die andere Seite der Waage etwas „durchhängt“ bzw. stärker „leuchtet“. Das ist dann als Warn¬signal zu verstehen und sollte niemals länger als zwei bis drei Tage anhalten. Geht’s nämlich darüber hinaus, besteht die Gefahr, dass ich entweder gierig (linke Schale) oder depressiv werde (rechte Schale).
Am besten und gesündesten ist’s also über¬wiegend ausgewogen.
Und wenn ich mal Probleme mit der Ausgewo¬genheit habe, erfinde ich mir flugs ein paar Glühwürm-chen dazu, und schon stimmt’s wieder!
Plattdeutsche Fassung
Dat Läben bringt jeden Dag
Freud un Verdruss,
denn mal möckst du „Minus“
un denn wedder „Plus“.
Smiet allens mal gau
in twei Waagschalen rin.
Höllt sick dat de „Waag“ denn,
warst glücklich du sien!
Un süll dat nich klappen,
schriew fuurts ein Gedicht,
denn töwert diss Gläuhworm
di Freud in’t Gesicht!
W. K., März 2019