Die Psychologie des bürgerlichen Individuums
Karl Held
Der Stärkung des Selbstbewusstseins dient dieses Buch nicht; es leistet auch keine Hilfe im Umgang mit eingebildeten Defekten, durch die sich so manches Ich auszeichnen möchte; es enthüllt erst recht keine un-, halb- oder unterbewusste Hinterwelt, in der allerlei Determinationen des bewussten Wünschens und Treibens sich zusammenbrauen würden. Den Gewohnheiten und den „persönlichen Problemen“, dem Anstand und den „Unanständigkeiten“ moderner Individuen sind gar nicht rätselhafte Grundsätze zu entnehmen: Lauter Techniken der Moral, mit deren Hilfe sich rechtschaffende wie schlaue, fromme wie alternative Leute in der Welt des sozialen und demokratischen Kapitalismus bewähren wollen.
Diesen immergleichen Methoden des Unterwerfens und des Mitmachens, die stets wie die allerintimsten Erfindungen unverwechselbarer Persönlichkeiten daherkommen, versagt das Buch zur und gegen die Psychologie jedes Verständnis. Es stellt sie bloß, klärt über normales und verrücktes Wohlverhalten auf, kritisiert die zur Volksdummheit gewordene psychologische Weltanschauung – und liefert damit alle Gründe, vom Psychologisieren – in Theorie und Praxis, allein und mit anderen – abzulassen.