Die „Annales“-Historiker und die deutsche Geschichtswissenschaft
Peter Schöttler
Dass Historiker ihren Beruf heute anders begreifen als vor hundert Jahren, verdanken sie nicht zuletzt einem wissenschaftlichen Paradigmenwechsel, der mit dem Namen „Annales“ verbunden ist. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg wurde diese 1929 von Marc Bloch und Lucien Febvre gegründete Zeitschrift zum Inbegriff einer nonkonformistischen, interdisziplinären Geschichtsschreibung. Darin war nicht mehr von großen Männern, Kriegen und Diplomatie die Rede, sondern von ökonomischen Interessen und sozialen Klassen, von technologischen Entwicklungen und Mentalitäten. Mit dem Erfolg der „Annales“ entstand allerdings auch ein Mythos, den es zu historisieren gilt. Dabei kommt dem Verhältnis der „Annales“ zu Deutschland und zur deutschen Geschichtsschreibung eine zentrale Bedeutung zu. Denn zum einen galt die deutsche Geschichtswissenschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts als führend, zum anderen haben sich Bloch, Febvre und die anderen „Annales“-Historiker mit keiner anderen Historiographie so intensiv auseinandergesetzt, wobei sie immer wieder betonten, dass man angesichts von Weltkrieg und „Pangermanismus“ nicht nur „von Deutschland lernen“, sondern auch „verlernen“ müsse. Diesen schwierigen, konfliktuellen Beziehungen und Verflechtungen zwischen französischen und deutschen Historikern, vor allem in den Zwischenkriegsjahren und während der NS-Zeit, spürt der deutsch-französische Historiker Peter Schöttler in diesem Buch nach. Für den vorliegenden Band wurden Beiträge aus etwa fünfundzwanzig Jahren zusammengestellt, gegebenenfalls übersetzt und überarbeitet.