Internationales und Transnationales Aktienrecht 1 und 2.
Teil IPR und Grundlagen / Europarecht
Peter Nobel
Der Begriff „Internationales Gesellschaftsrecht“ umfasst mittlerweile ein reichhaltiges Gebiet. Neben den weiterhin relevanten international-privatrechtlichen Fragen der Anknüpfung gesellschaftsrechtlicher Verhältnisse und Fragen (Inkorporationstheorie vs. Sitztheorie sowie Sonderanknüpfungen) ergeben sich im Zuge der zunehmenden Bedeutung grenzüberschreitend organisierter Konzerne weitere Themenkomplexe. Im Vordergrund stehen hier Konzerne, deren Mutter in der Schweiz kotiert ist, sodass das Börsengesellschaftsrecht zum Recht des börsenkotierten Konzerns fortgeschrieben werden muss. Besonders spannend wird es, wenn die Unternehmen eine „neue Welt“ betreten und den amerikanischen Kapitalmarkt beanspruchen. Im Normierungsbereich gewinnt die Form von „International Standards“ (Rechnungslegung, Wertpapierhandel, Corporate Governance) zunehmend an Bedeutung. Multinationalen Konzernen, die aufgrund von Direktinvestitionen Tochtergesellschaften im Ausland haben, kommt darüber hinaus auch völkerrechtliche Aufmerksamkeit zu: Zum einen muss im Rahmen des Investitionsschutzes sichergestellt werden, dass Investitionsentscheide in weniger stabilen Ländern nicht durch nicht abwägbare Risiken behindert werden. Zum anderen gewährleistet die Einhaltung international anerkannter Verhaltensstandards, dass Unternehmen nicht in Verdacht geraten, nicht zum Fortschritt beizutragen.
Eine Harmonisierung des europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts wurde bereits mit Unterzeichnung der „Römischen Verträge“ von 1957 beschlossen. Nach anfänglichen Ergebnissen in der Form verschiedener Richtlinien begannen Schwierigkeiten, doch kann man zu Recht sagen, dass das europäische Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht das Recht der Mitgliedstaaten und im Rahmen der internationalen Konvergenz auch das Schweizer Recht massgeblich beeinflusst. Wichtige Fortschritte betreffen u.a. die niederlassungsrechtliche und organisatorische Freizügigkeit von Kapitalgesellschaften, die Konsolidierung des Kapitalmarktrechts und die Schaffung eines einheitlichen Börsengesellschaftrechts sowie Angleichungen bei der Finanzberichterstattung (einheitliche Rechnungslegungs- und Corporate Governance-Standards). Ausserdem hat mit der Aktionärsrechte-Richtlinie erstmals eine Harmonisierung des Innenlebens einer Kapitalgesellschaft stattgefunden. Schliesslich ist die rasante Entwicklung des europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts auch daran zu beobachten, dass neben der Europäischen Aktiengesellschaft weitere europäische Gesellschaftsformen (Europäische Privatgesellschaft, Europäische Genossenschaft, Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung) entstanden sind.