Joseph Christian Hamel 1788-1862
Ein deutscher Arzt, Naturforscher und Technologe aus Sarepta in russischen Diensten
Wolfgang Stratenwerth
Joseph Christian Hamel gehört zu den zahlreichen deutschen und deutschstämmigen Wissenschaftlern und Gelehrten des 19. Jahrhunderts, die in russischen Diensten standen und maßgeblich an Aufstieg und Weiterentwicklung von Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft in Russland mitgewirkt haben. Dennoch ist über das Leben und Wirken des am 30. Januar 1788 im Herrnhuter Kolonistendorf Sarepta an der Wolga geborenen und am 22. September 1862 während seines Besuchs der Weltausstellung in London gestorbenen Arztes, Naturforschers und Technologen in der deutschen, russischen und englischsprachigen Literatur nur wenig geschrieben worden.
Im Zentrum der nun erstmals von Stratenwerth vorgelegten Gesamtbiografie steht die chronologisch geordnete Dokumentation und Erläuterung von biografischen Fakten und Ereignissen aus dem Leben und beruflichem Wirken von Joseph Hamel. Sie wurden mittels zeitaufwendiger Recherchen aus dem vielfältigen und weit gestreuten Quellenmaterial herausgefiltert und weitgehend bis ins Detail dargestellt und erläutert.
Es folgt eine globale Charakterisierung und Einschätzung von Hamels Beitrag in Wissenschaft und Forschung in Verbindung mit einem Exkurs über sein in Deutschland verbreitetes Werk über den „gegenseitigen Unterricht“. Im Anhang sind bedeutsame biografisch relevante Materialien enthalten. Unter ihnen findet sich auch eine ausführliche Darstellung der Herrnhuter Kolonie Sarepta, in der Hamel seine Kindheit und Jugend verbracht hatte.
Die Faszination von Joseph Hamel liegt vor allem in der Vielzahl und Vielfalt seiner aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen entnommenen Forschungsthemen und ihrer multidisziplinären Bearbeitung. In den naturwissenschaftlichen Arbeiten reicht die Skala von Themen aus der Chemie, Physik, Botanik, Zoologie, Mineralogie, Geologie, Meteorologie, Altimetrie bis hin zu Spezialgebieten wie die Paläo-Ornithologie, der Paläo-Ichthyologie und der Paläobotanik. Beeindruckend sind auch seine Beiträge zur Chirurgie, der Physiologie und der Historischen und Vergleichenden Sprachforschung.
Zu den technologisch interessanten Beiträgen von Hamel gehören vor allem seine an den russischen Innenminister gesandten Berichte über technisch-ökonomische Innovationen, die er auf seinen zahlreichen Auslandsaufenthalten erkundete, die zeitlich mehr als die Hälfte seiner 51 Dienstjahre ausmachten. Auch hier beeindruckt wieder die große Spannweite der bearbeiteten Themen. Sie reicht von Arbeiten aus dem Bergbauwesen (z. B. Entlüftungstechnik und Sicherheitstechnik), dem Maschinen- und Gerätebau (z. B. Dampfmaschine, Lokomotive), dem Textilgewerbe und Färberei, der Schuhfabrikation, der Drucktechnik, der galvanischen Telekommunikation bis hin zur Photographie.
Joseph Hamel gehört zur ersten in Russland geborenen Generation der deutschen Einwanderer und hatte sich vom Lehrling der Apotheke in Sarepta bis zum ordentlichen Mitglied der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg hochgearbeitet. Er stand seit Juli 1811 bis zu seinem Tode am 22. September 1862 im russischen Staatsdienst.
Als russischer Staatsbürger fühlte sich Hamel seinem russischen Vaterland verpflichtet, ohne dass er seine Identität als Deutschstämmiger und Glaubensmitglied der Herrnhuter Brüdergemeine aufgegeben hatte. So gesehen ist Stratenwerths Biografie auch als bedeutsamer Beitrag zur Geschichte der Deutschen in Russland und speziell zur Lebensgeschichte eines Mitglieds der Herrnhuter Brüdergemeine zu würdigen.