Das Phänomen Straflosigkeit und seine Verortung im lateinamerikanischen Kontext in Vergangenheit und Gegenwart
Rainer Huhle
Rainer Huhle zeichnet in dieser Studie die Entwicklung des Phänomens Straflosigkeit im lateinamerikanischen Kontext nach. Er beschreibt und analysiert die Entwicklung von völkerrechtlichen Konventionen und internationalen Rechtsnormen und erläutert, wie eine Umsetzung von Staatenpflichten zur Strafverfolgung in Lateinamerika ohne die von der Zivilgesellschaft und insbesondere den Verbänden von Opferangehörigen entwickelten und vorgebrachten Forderungen kaum denkbar gewesen wäre.
Nach Reflektionen über den Sinn des Strafens, der auch für prominente Kämpfer gegen Straflosigkeit wie Louis Joinet oder Fritz Bauer vor allem in dem symbolischen Akt der Strafe und der Benennung von Menschenrechtsverletzungen lag und weniger im Vollzug der Strafe, erläutert Huhle anhand der Fallbeispiele Chile, Argentinien und Kolumbien die Debatten und Entwicklungen in den Auseinandersetzungen um Straflosigkeit und der Durchsetzung des Rechts auf Gerechtigkeit in lateinamerikanischen Transitionen.
Abschließend widmet sich der Text dem Verbrechen des Verschwindenlassens. Eine Verankerung des Tatbestands des (gewaltsamen) Verschwindenlassens im Völkerrecht als Ergebnis des langjährigen Bestrebens von Angehörigen von Verschwundenen und Menschenrechtsexpert*innen gelang mit Inkrafttreten der UN-Konvention gegen das Verschwindenlassen im Jahr 2010. Diese Konvention verlangt auch ausdrücklich, dass das Verschwindenlassen als eigener Straftatbestand in die nationalen Gesetzbücher aufgenommen wird. Sowohl der UN-Verschwundenenausschuss als auch deutsche Menschenrechtsorganisationen beklagen das Fehlen eines solchen Tatbestands im deutschen Strafrecht bis heute.