Politischer Systemumbruch als irreversibler Faktor von Modernisierung in der Wissenschaft?
Lothar Mertens
Ziel der interdisziplinär ausgerichteten geisteswissenschaftlichen Tagung vom 6. bis 9. April 1998 in der Akademie für politische Bildung Tutzing war es, beispielhaft zu untersuchen, welche Bedeutung und Dynamik einem politischen Systemumbruch bei der Modernisierung von Wissenschaft zukommt. Da es in Deutschland in diesem Jahrhundert neben zwei Demokratien auch zwei politisch unterschiedlich ausgerichtete Diktaturen gab, bot es sich an, eine territoriale Beschränkung auf Deutschland vorzunehmen, um so die Vergleichbarkeit und damit die Aussagekraft zu erhöhen.
Für die Anfangsjahre der drei Phasen Drittes Reich, Nachkriegsjahre 1945-49 sowie des vereinigten Deutschland seit 1990 wurden dabei inhaltlich jeweils eine Wissenschaftsdisziplin, eine wissenschaftliche Forschungs- oder Förderinstitution sowie eine Universität exemplarisch untersucht.
Trotz aller epochaler und inhaltlicher Unterschiede dokumentieren alle Beiträge den großen Einfluß des politischen Systemumbruchs auf das untersuchte wissenschaftliche Subsystem; auch wenn der politische Systemumbruch keineswegs immer zu einem Modernisierungsfaktor von Wissenschaft wurde. Daher bleibt im Titel des vorliegenden Tagungsbandes das Fragezeichen bewußt stehen, denn die Vorträge und die anschließenden Diskussionen im Plenum zeigten immer wieder, wie ambivalent die Entwicklungen in den Phasen der Systemumbrüche waren und wie multikausal die Erklärungsansätze bleiben mußten. Die Intention dieses Sammelbandes ist daher weniger, die Eingangsfrage abschließend beantworten zu wollen, als für die dringend notwendigen weiteren Diskussionen fundiertes Material und Thesen zur Verfügung zu stellen.