Verkehr
Zu einer poetischen Theorie der Moderne
Johannes Roskothen
Baudelaire hatte die zivilisatorische und ästhetische Moderne als flüchtig, transitorisch und kontingent charakterisiert. Alle drei Merkmale verdichten sich im Vorstellungsbild ‚Verkehr‘, das mithin eine zentrale Wahrnehmungsfigur der Moderne darstellt. Ebenso wie die neuen Formen der Massenunterhaltung und der Reklame ist die Dynamik auf dem Straßenpflaster unwesentlich, aber gerade die unwesentlichen Teile der Lebens-welt bauen den Menschen um, dezentrieren die alteuropäischen ‚Ideokratien‘ (Musil) und revolutionieren die Künste. In zahlreichen Texten der Avantgarden repräsentiert der Straßenverkehr umfassende topographische, soziale und psychische Delokalisierung. Feierte der Futurismus den kinetischen Rausch elitärer Piloten und Chauffeure, so bieten neusachliche Romane Ansichten einer demokratisierten Teilhabe an den turbulenten Zirkulationssystemen der Metropolen; das massenhafte Verkehrstreiben auf dem Asphalt gerinnt um 1930 zu Bildern eines leerlaufenden, sich selbst genügenden Kreisverkehrs. Aus dem Inhalt I. VERSUCH, DIE MODERNE ALS VERKEHRSZUSTAND ZU DENKEN 1. Verkehr: Zivilisatorischer Befund 2. Verkehr: Kultureller Befund 3. Kulturtheorie des Verkehr(en)s 4. En avant, die Literaten ! Zur Genealogie des Topos ‘Verkehr’ 5. Verkehr im Text: Poetologische Aspekte II. POETISCHE VERKEHRSIMAGINATIONEN DER METROPOLE 1. ‚. schickt keinen Poeten!‘ Berichte zur Londoner Verkehrslage vor 1850 2. Retrospektive: Die Verkehrstechniken der großen Stadt 3. Verkehrsbeben in Megalopolis: Avantgardistische Straßenblicke III. TROTTOIR ROULANT: BERLINS LITERARISCHE VERKEHRSMODERNE 1. Funktion im Hohlraum – Berlin als transitorische Benutzeroberfläche 2. Berliner Verkehrsromane der Neuen Sachlichkeit