Neuere Tendenzen in der Diversion.
Exemplarisch dargestellt anhand des Berliner Diversionsmodells - Zurückdrängung staatsanwaltschaftlicher Entscheidungskompetenz?
Ingke Goeckenjan
In Berlin wird die Praxis der Verfahrenseinstellungen im Jugendstrafrecht maßgeblich durch die sog. Diversionsrichtlinie geregelt, die – anders als die Vorschriften in den übrigen Bundesländern – die Einschaltung von Sozialarbeitern bzw. Sozialpädagogen als Vermittlungspersonen (sog. Diversionsmittler) vorsieht. Die Richtlinie hat in Wissenschaft und Praxis teilweise vehemente Kritik hervorgerufen. Diese Kritik auf ihre Berechtigung zu überprüfen, ist das zentrale Anliegen der Autorin.
Nach einer einführenden Darlegung des aktuellen Standes der jugendstrafrechtlichen Forschung und Judikatur zur Diversion beschreibt Ingke Goeckenjan den Ablauf des Berliner Diversionsverfahrens unter spezieller Berücksichtigung der einzelnen beteiligten Institutionen (Polizei, Diversionsmittler, Staatsanwaltschaft). Dabei bezieht sie sich auf empirische Erkenntnisse, die sie insbesondere anhand von Beobachtungen sog. Diversionsgespräche sowie durch Interviews mit Verfahrensbeteiligten gewinnen konnte. Auf dieser rechtstatsächlichen Grundlage untersucht sie die Richtlinie auf ihre Vereinbarkeit mit den einfachgesetzlichen und verfassungsrechtlichen Regelungen.
Ingke Goeckenjan kommt zu dem Ergebnis, dass das Berliner Diversionsverfahren an gravierenden rechtlichen und rechtstatsächlichen Mängeln leidet. So weist sie u. a. nach, dass die Weichen stellende Rolle der Polizei innerhalb des Verfahrens die gesetzlich verankerte Entscheidungskompetenz der Staatsanwaltschaft unzulässig einschränkt. Aus diesen Erkenntnissen leitet die Verfasserin schließlich konkrete Empfehlungen für künftige Diversionsregelungen ab.