Die Vita Sinuthii
Form- und Überlieferungsgeschichte der hagiographischen Texte über Schenute den Archimandriten
Nina Lubomierski
Schenute war die überragende geistliche Gestalt Oberägyptens im vierten und fünften Jahrhundert. Seine hohe Bedeutung spiegelt sich in der breiten Überlieferung hagiographischer Texte über ihn wider. Bisher wurde in der Forschung in Übereinstimmung mit der koptischen Tradition davon ausgegangen, dass Besa, der Nachfolger Schenutes, während seiner Amtszeit als Vorsteher des Weißen Klosters eine Biographie Schenutes, die Vita Sinuthii, verfasste. Nina Lubomierski vertritt die These, dass Besa nicht der Verfasser der Texte ist, die als Vita Sinuthii bezeichnet werden. Diese entstanden, indem verschiedene Lobreden und andere hagiographische Schriften über Schenute von einem unbekannten Redaktor zu einer Materialsammlung zusammengefasst wurden. Vermutlich hatte diese Materialsammlung ursprünglich den Umfang der von Émile Amélineau in den Jahren 1888-95 veröffentlichten arabischen Version und wurde schon in Schenutes Kloster gekürzt. Dieses Modell basiert auf der Einschätzung der Texte der sog. Vita Sinuthii als liturgische Texte, die zur living literature gehören und deren Veränderung als legitim angesehen wurde. Die Bezeichnung ‚Vita Sinuthii‘ verschleiert den liturgischen Sitz im Leben der Texte und ist daher irreführend. Gattungsmäßig sind die vollständig erhalten Texte der Vita Sintuhii als eine für die christliche Hagiographie typische Mischung aus enkomiastischen, biographischen und paränetischen Elemente zu bestimmen. Im Rahmen der Arbeit wurden die sahidischen Fragmente aus Schenutes Kloster, die heute auf Bibliotheken und Sammlungen in fünf Ländern zerstreut sind, erstmals vier Handschriften zugeordnet. Die Arbeit enthält Editionen von bisher unveröffentlichten sahidischen Fragmenten der Vita Sinuthii, kodikologisch geordnet und mit deutscher Übersetzung, sowie eine Synopse aller Episoden der Vita Sinuthii in den verschiedenen Versionen.