Deutsches Theater beginne, so glaubt man nach wie vor, in der Aufklärung: In Leipzig 1737 mit der angeblichen Verbannung des Harlekin und in Hamburg mit dem Deutschen Nationaltheater der Hamburgischen Entreprise, die von 1767 bis 1769 nur anderthalb Jahre währte. Doch dass an Ort und Stelle des Nationaltheaters von 1678 bis 1738 das erste stehende Theaterhaus im deutschsprachigen Raum betrieben wurde, die Oper am Hamburger Gänsemarkt, ist weiterhin unbekannt.
Gänsemarkt-Oper und der um sie von 1681 bis 1688 ausgetragene Erste Hamburger Theaterstreit werden erstmals aus der Perspektive einer transdisziplinären Theatergeschichtsforschung betrachtet. Damit bewertet die Studie nicht nur ein schillerndes und nahezu unbekanntes Kapitel deutschsprachiger Theatergeschichte neu, sondern sie trägt auch zur Revision des Wissens über Theater bei.
In Abhängigkeit vom Theaterstreit vollzog sich ein folgenreicher Wandel dessen, was man Theater zu nennen bereit war: weit über Hamburg hinaus und bis zum heutigen Tage fortwirkend. Die Untersuchung legt offen, dass dies auf die Bestimmung von Theater durch den Protestantismus zurückgeht. Theater musste, wollte es legitimiert werden, als eine weltliche und nützliche Kunst bestimmt sein – um den Preis des Verdrängens alles dessen, was sonst Theater eigen war.
Die während des Streits um Theater stattfindenden Aushandlungen bildeten – und dies war bislang unbekannt – die Voraussetzung für das Theatermodell der Aufklärung und dessen rigide Definition der Fiktionalität. Die Konsequenz daraus war es, dass ab nun Oper – das Supertheater schlechthin – aus dem bürgerlichen Begriff des Theaters herausfiel. Oper war nun kein Theater mehr, sondern eine eigene Gattung.
Aktualisiert: 2021-01-28
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»Wer nicht tanzt, erkennt nicht, was sich begibt. – Amen«. Tanzend gibt Christus diese Weisheit an seine Jünger weiter. Mit der Fähigkeit leiblichen Erkennens in der Bewegung stoßen wir auf kulturelle und theatrale Praktiken, die im Alltag gemeinhin unsichtbare Seiten des Seins sehen lassen und unterschiedliche Erkenntnisweisen ermöglichen. So wie die Quantenphysik den ›gesunden‹ Menschenverstand schockiert, erschüttern traditionell-moderne Theaterfiguren mit Vorläufern aus Mythen und Erzählungen die Gesetze der Vernunft und Logik, denn sie besitzen gespenstisch-widersprüchliche Kräfte. Einstein sprach von »Gespensterfeldern«, weil er befürchtete, letztendlich könnte die Quantenphysik die Grenze zwischen physikalischer Realität und der Welt des Traums verwischen.
Die in diesem Band versammelten Beiträge wagen sich an das Faszinierende wie Erschreckende solcher Grenzverletzungen mit dem Ziel einer Verständigung über damit verbundenes (verborgenes) Wissen. Autorinnen und Autoren aus Philosophie, Kunstgeschichte, Physik, Ethnologie, Musik- sowie Tanz- und Theaterwissenschaft finden unterschiedliche Antworten auf die Fragen, welche Weisen der Erkenntnis möglich sind, welche Wissensformen auch jenseits des logos-zentrierten Denkens existieren und auf welchen Wegen Wissen weitergegeben wird: sei es in der Popkultur des 20. und 21. Jahrhunderts, in der Gestaltung mittelalterlicher Manuskripte oder in theatralen Praktiken der (Frühen) Neuzeit wie der Gegenwart – aus europäischer sowie nichteuropäischer oder auch aus kosmologischer Perspektive. Wie epistemologische Ver- und Aushandlungsprozesse in diversen kulturhistorischen Zusammenhängen immer wieder stattgefunden haben, zeigen exemplarisch die hier versammelten Untersuchungen, und zwar über die vermeintlichen Trennlinien zwischen Natur- und Geisteswissenschaften hinweg.
Aktualisiert: 2019-01-31
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Der vorliegende Band ist dreierlei: Stellungnahme, Positionsbestimmung und ein Akt der Solidarität. Er enthält die Beiträge von maßgeblichen Wissenschaftlern der deutschsprachigen theaterwissenschaftlichen Institute zu der gemeinsamen Ringvorlesung „Aus Tradition Grenzen überschreiten“, die im Sommer 2014 in Leipzig stattfand. Der Anlass war ein zwiespältiger: Das Institut für Theaterwissenschaft der Universität Leipzig wurde im 20. Jahr seines Bestehens mit massiven Stellenstreichungen konfrontiert. Der Band bietet die Momentaufnahme der Forschungsansätze eines hochproduktiven und grenzüberschreitenden Faches, die in ihrer Unterschiedlichkeit und Korrespondenz von der Zukunftsfähigkeit der Theaterwissenschaft zeugen. Die Beiträge unterstreichen die Relevanz der Theaterwissenschaft und verteidigen deren unverzichtbare Vermittlungsfunktion innerhalb der Geisteswissenschaften sowie gegenüber neoliberalen Logiken und einer vollständigen Ökonomisierung der Universität. Die Publikation ist ein unübersehbares Signal dieses gemeinsamen Widerstands.
Aktualisiert: 2020-10-06
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