Ästhetisierung als Zweite Aufklärung
Eine literarästhetisch abgeleitete Kulturtheorie
Jürgen Peper
Eine Kulturtheorie literarästhetisch abzuleiten, drängt sich selbst Literaturwissenschaftlern nicht auf. Der Germanist Gert Kaiser gesteht dem Ästhetischen nicht einmal eine “seismographische Funktion” zu: “Es waren nicht die Künste, die uns die Zukunft voraussagten, sondern die technischen Erfindungen der Daguerreotypie, des Filmapparats und der Schreibmaschine, die die Kunst bewegten.” (Die Zeit, 18.3.1994, S. 45) Allzu viele Kollegen sind von solcher Nachrangigkeit der Ästhetik gegenüber Technik, Soziologie, politischer Geschichte usw. überzeugt. Sie ignorieren die erkenntniskritische Potenz des Ästhetischen.
Peper sieht Kultur nicht als irgendeinen Fortschritt der Zivilisation, sondern als gestaltete und gelebte Wahrheitsvorstellung. Das gilt in der Postmoderne nicht weniger als im Mittelalter. Peper zeigt Ästhetisierung als erkenntniskritische Hinterfragung der klassischen Wahrheitsvorstellung im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts und somit als Zweite Aufklärung. Er macht Ernst mit Odo Marquards Beobachtung, daß mit Kant die Ästhetik die Metaphysik als “diensthabende Fundamentalphilosophie”
abgelöst hat. Was dann im 20. Jahrhundert soziologisch als “Ästhetisierung der Lebenswelt” (Bubner) zutage tritt, als “Erlebnisgesellschaft” (Schulze), als “sensuelles Zeitalter” (Horx), als Individualisierung und demokratische Emanzipation, das kündigt sich bereits in der Lyrik des 18. Jahrhunderts im Wandel der Metapherstruktur, also ästhetischerkenntniskritisch, an. Untersucht werden Texte der amerikanischen, englischen, französischen und deutschsprachigen Literatur seit der Mitte des 18. Jahrhunderts. Seitenblicke in die homologen Entwicklungen im Theater, in Musik und Malerei runden ab. Ein abschließender 46seitiger “Theorie-Check” überprüft die vorgelegte Kulturtheorie.