Ästhetisierung und ästhetische Erfahrung von Gewalt
Ein Untersuchung zu Senecas Tragödien
Antje Wessels
In der frühen Kaiserzeit, in der selbst das Töten ästhetisch überformt ist, sind die Grenzen zwischen Kunst und Lebenswelt nur schwer zu ziehen. Welche poetischen Strategien muß ein Dichter einsetzen, um sein Kunstwerk in einem solchen Umfeld als ein Kunstwerk auszuweisen, und wie kann er dem Zuschauer die Sicherheit vermitteln, daß er ein Kunstwerk vor sich hat und das „Vergnügen am Schrecklichen“ legitim ist?
Die Tragödien des Dichters, Philosophen und Politikers Seneca sind berühmt für ihre exzessiven Darstellungen physischer Gewalt. Sein Zugeständnis an die zeitgenössischen Sehgewohnheiten verbindet Seneca jedoch mit der Entfaltung eines Spektrums an Gewaltszenarien, die den Intellekt, die Imaginationskraft und die Souveränität des Zuschauers in einem hohen Maße herausfordern. Auf diese Weise wird es dem Zuschauer ermöglicht, die Betrachtung physischer Gewaltakte zu reflektieren, sich als Zuschauer seiner Rolle als Zuschauer bewußt zu werden und die fragile Grenze zwischen Bühnenraum und Wirklichkeit wieder herzustellen.