Boethius in St. Gallen
Die Bearbeitung der 'Consolatio Philosophiae' durch Notker Teutonicus zwischen Tradition und Innovation
Christine Hehle
Notkers um 1000 entstandene Bearbeitung der spätantiken »Consolatio Philosophiae« steht in der Tradition der karolingischen Rezeption, die die »Consolatio« zur Vermittlung christlicher Bildung im Rahmen des didaktischen Konzepts der artes liberales nutzt, und bedeutet gleichzeitig eine Innovation: Notker bedient sich tradierter Techniken der Texterschließung, indem er auf die Glossierungstypen lateinischer Textkommentare zurückgreift. Zugleich bezieht er die althochdeutsche Volkssprache in Form von Kommentar und Übersetzung in seine Texterklärung ein und nutzt die Lektüre der »Consolatio« als Ausgangspunkt für theoretische Wissensvermittlung, vor allem auf dem Gebiet des Trivium und philosophisch-theologischer Fragenkomplexe. Seine Bearbeitung ist die erste umfassende Werkinterpretation zur »Consolatio«. Die vorliegende Studie ist die erste Monographie zu diesem Text seit dem Buch von Ingeborg Schröbler (1953). Sie bestimmt Notkers Ort innerhalb der Textgeschichte der »Consolatio« unter Einbeziehung zum Teil noch ungedruckter lateinischer Kommentare und arbeitet in Detailanalysen und im systematischen Überblick die formal-technischen und inhaltlichen Charakteristika seiner Bearbeitung vor dem Hintergrund der St. Galler Bildungstradition, der Unterrichtsmethoden und der wissenschaftlichen Entwicklungen seiner Zeit heraus.