„Braver Junge – erfüllt mit Gift“
Joseph Roth und die Ambivalenz
Sebastian Kiefer
Er war ein Sozialist, der eine Welt im Namen der Gebeutelten dieser Erde anklagte und dabei von den Patriarchen, von Millionären und Film-Starlets träumte. Er war Offizier und bedingungsloser Pazifist, ein Fanatiker der Etikette und »Feind jeglicher Konvention«. Er war ein sentimentaler Cineast, dem Hollywood zur Hölle – der Moderne – wurde, ein neusachlicher Literat und verzärtelter Ästhet der »Nuance«. Er stürzte sich, halb aus Not, halb aus sozialem Kalkül in die Arme des Katholizismus, anderntags war er ein ahasverischer galizischer Jude, der »seine« Ostjuden daheim verdammte, weil sie es ihm nachtun wollten. Vorliegende Arbeit zeigt, weshalb die Versuche, Joseph Roth von dieser oder jener Rolle her zu beschreiben, fehl gehen müssen. Das Stete im Wandel des Joseph Roth, das Prinzip hinter den Umbrüchen und Verwandlungen ist die Ambivalenz selbst. Roths Schreiben ist die Transformation des Unentscheidbaren in erzählerische Architektur, die Sublimierung der Ambiguität zum Stil. Ambivalenz ist der Schlüssel zur Kreativität – in Roths Fall, auch in ungezählten anderen. Ein abschließendes Kapitel skizziert, wie und warum das entworfene Erklärungsmodell anderweitig fruchtbar werden kann.