Das eine bin ich, das andre sind meine Schriften
Nietzsches Werk im Spiegel seiner Briefe
Rüdiger Schmidt-Grépály
In Friedrich Nietzsches Biographie können wir uns bewegen wie in einer Einkaufs-Passage. Wir können uns die Auslagen der verschiedenen Geschäfte ansehen: Es gibt Zeitungsläden und Apotheken, es gibt Muße und es gibt Hektik. Wir finden dort allerlei. Nur Nietzsches Philosophie finden wir nicht. Wir können seinem Philosophieren folgen, seinem lebenslangen Prozess des Fragens.
Seine Geschichte können wir als die Geschichte eines beliebten Professors lesen oder als die eines ununterbrochenen Scheiterns, eines langsam dem Wahnsinn verfallenden Denkers. Aber vor allem auch als die eines Schriftstellers. Und zwar eines Schriftsteller, der selbst die Geschichte der Menschheit in zwei Hälften teilte: Die Geschichte vor ‚Zarathustra‘ und die Geschichte nach ‚Zarathustra‘. Nietzsche bewegte sich ‚jenseits von Gut und Böse‘, führte die Moral auf die Lüge zurück, schrieb Thesen gegen das Christentum und forderte, die Antisemiten aus Deutschland auszuweisen.
Nietzsches Philosophieren lässt sich nicht systematisieren, es gibt nicht den Nietzsche, er manifestiert sich allenfalls im Prozess des Schreibens. Diesem Denk-Weg und seinen Denk-Orten können wir folgen, wenn wir Nietzsches Briefe nach seinem Werk befragen. Hier verknüpfen sich Biografie und Philosophie. In den Briefen an seine Verleger und Freunde gibt Nietzsche mehr als nur Fingerzeige auf sein Werk.