DAS ENTHYMEM.
Zur Rhetorik des juridischen Begründens. Interdisziplinäres Symposion zur Methode und Theorie der Rechtsrhetorik an der FernUniversität Hagen vom 29. bis 30. April 2011. SONDERHEFT Rechtsrhetorik.((k)) Zs. Rechtstheorie, 42. Bd. (2011), H. 4 (S. 377–619).
Katharina Gräfin von Schlieffen
Der abschließende Ausblick behandelt das Enthymem als ein ergiebiges Modell juridischen Begründens für die rechtswissenschaftliche Grundlagenforschung und die rechtliche Praxis. Das Enthymem, nach Aristoteles eine Deduktion aus anerkannten Meinungen, wird als rhetorisches Mittel zur Darstellung der Herstellung einer rechtlichen Begründung abgegrenzt von (scheinbaren) Mitteln wie dem (Justiz-)Syllogismus. Nach Herleitung und grundlegender Definition widmet sich Schlieffen den einzelnen Arten, nämlich deduktionsorientierten Enthymemen, Beispiel- und Zeichenenthymemen, sowie deren Aufbau, wobei dem häufig regellosen, wenn auch manchmal regelorientierten »Übergang« von der Behauptung zu deren Begründung besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Nicht vergessen wird in diesem Zusammenhang ein Hinweis auf die nicht-argumentativen Überzeugungsmittel des Juristen, die rhetorischen Figuren, das sprecherbezogene Ethos sowie das auditoriumsbezogene Pathos. In Abgrenzung zu anderen argumentativen Mitteln stellt die Verfasserin heraus, dass das Enthymem, entgegen der überkommenen syllogismus-truncatus-Lehre, kein verkürzter Syllogismus ist, dem eben nur eine oder mehrere Prämisse(n) oder die Folgerung fehlten. Auch von der diskurstheoretischen oder neorhetorischen Argumentationstheorie muss das Enthymem unterschieden werden: Rationalität gewährleisten Sprech- und Verhaltensweisen sowie das komplexe Beziehungsnetz in der Situation, nicht jedoch ethos- und emotionsfreie Argumente. Desgleichen können – entgegen Toulmin – auch logisch unschlüssige Begründungen über entfernte Endoxa oder Topoi für die Rhetorische Rechtstheorie plausibel sein. Ausblickend stellt Schlieffen die enthymematisch-rhetorische Perspektive als Bereicherung für das analytische Instrumentarium des Juristen heraus, für das die Logik allein keine umfassende Erklärung zu liefern in der Lage ist.