Das handlungsfähige Subjekt zwischen TV-Diskurs und Netz-Dialog
Vilém Flusser und die Frage der sozio- und medienkulturellen Kompetenz
Guido Bröckling
Wir leben und handeln gegenwärtig in einer mediatisierten Gesellschaft, die sich zwischen einer Massenmedienkultur (‚TV-Diskurs‘) und einer Kultur des vernetzten digitalen Dialogs (‚Netz-Dialog‘) verorten lässt. Um die damit einhergehende Zäsur unserer Identitäts- und Wirklichkeitskonstruktion in/mit Medien, unserer Weltaneignung, zu begreifen, gilt es, die sozio- und medienkulturellen Bedingungen der beiden idealtypischen Szenarien offenzulegen. Die Bewusstwerdung ihrer Bedingungen bedeutet die Möglichkeit für den Einzelnen/die Einzelne, an der Konstruktion der Welt teilzuhaben, Identitäten und Wirklichkeiten intersubjektiv zu entwerfen.
Um uns in dieser Multioptionsgesellschaft zwischen all den Möglichkeiten entscheiden zu können, bedarf es einer Kompetenz zum selbstbewussten und vertrauensvollen Handeln in/mit Medien. Das Subjekt muss lernen, sich vom ‚man‘ einer Gesellschaft, von dem was man tut und nicht tut, zu emanzipieren, ohne dabei ins Bodenlose zu fallen. Um die eigenen Entscheidungen selbstbestimmt verantworten zu können, bedarf es einer an den Strukturen der Kommunikation und ihrer Bedeutung orientierten (Medien)Bildung. Leitgedanke einer solchen Medienbildung wäre die an Vilém Flussers Denkanstößen orientierte und hier ausgearbeitete sozio- und medienkulturelle Kompetenz des Subjekts. Über Vilém Flussers universelles Verständnis von Medien als Kommunikationsstrukturen hinausweisend, lässt sich (Medien)Bildung dann als Programm für das handlungsfähige Subjekt begreifen. Dies ist nicht nur im Geiste Vilém Flussers gedacht sondern stellt seine medienkulturtheoretischen Denkanstöße in einen medienpolitischen und -pädagogischen Kontext, operationalisiert seine kommunikationstheoretischen Denkanstöße für die (Medien)Bildung.
Wer Vilém Flusser kennt, erwartet auch von Guido Bröckling einen medienphilosophischen Diskurs auf höchstem Niveau. Das hier vorliegende Buch ist eine sinnvolle und überfällige Übertragung und Weiterentwicklung Flussers Gedankengut in die heutige Medienwelt, geprägt durch das Ringen nach einer kompetenzorientierten Medienbildung. Wer eine stark medientheoretisch orientierte Auseinandersetzung nicht scheut, findet bei Bröckling wertvolle Anregungen für den eigenen medienpädagogischen bzw. medienphilosophischen Diskurs.
Dr. Michael Troesser, medienbrief 01/13