Das Problem der Irrationalität
Georg Lukács’ Kritik des modernen Rationalismus
Peter Mühlbach
Im zweiten Abschnitt seiner berühmten Schrift Die Verdinglichung und das Bewußtsein des Proletariats, die den Titel Die Antinomien des bürgerlichen Bewußtseins trägt, sieht Lukacs – beeinflußt von seinem Freund, dem Heidelberger Neukantianer, Emil Lask – im Problem der Irrationalität, und das heißt: im Problem der „Undurchdringbarkeit jeder Gegebenheit durch Verstandesbegriffe“ (Lukacs), das erkenntnistheoretische Grundproblem des modernen Rationalismus. Es bestimmt und durchzieht – gleichsam als „struktives Urverhältnis“ (Lukacs) – die gesamte Bewußtseinsphilosophie des deutschen Idealismus. Unter dieser Voraussetzung untersucht Lukacs daher die in jener Epoche der großen deutschen Philosophie unternommenen Versuche, mit dem Irrationalitätsgedanken fertigzuwerden. Und das mit der Absicht einer Kritik an dem in unbewältigter Irrationalität verharrenden „bürgerlichen Bewußtsein“; einem Bewußtsein, dem die Möglichkeit des Ausgreifens auf das Ganze der Wirklichkeit versagt bleibt, weil es deren Inhalt rein kontemplativ, mithin rein rational, auffaßt. Gegen dieses letztlich der logischen Herrschaft des Begriffs verfallene bürgerliche Denken stellt Lukacs das dialektische. Mit dessen Hilfe versucht er dann, das Irrationalitätsproblem aufzulösen. Die vorliegende Studie von Peter Mühlbach zeigt indessen, daß die von Lukacs ins Auge gefaßte Lösung scheitern muß, wenn Dialektik nicht an ihre Grenze geht; und zwar deshalb, weil sie die in dialektischer Entsprechung nur unvollständig sich zeigende dialogische Entsprechung – verstanden als Vergegenwärtigung der Unverfügbarkeit dessen, worauf der Begriff sich bezieht – nicht frei aus sich heraussetzt, sondern dem „machthabenden Begriff“ (Hegel) unterwirft.