Das Spätwerk von Rudolf Schlichter (1945-1955)
Sigrid Lange
Der Maler Rudolf Schlichter galt in den 1920er Jahren neben George Grosz und Otto Dix als herausragender Vertreter des sogenannten linken Flügels der Neuen Sachlichkeit und erlangte insbesondere mit seinen Porträts dieser Zeit Anerkennung. Zu Beginn der 1930er Jahre fand er durch seine Autobiographien auch als Schriftsteller Beachtung. Unter dem NS-Regime war Schlichter, wie viele seiner Künstlerkollegen, kaum mehr möglich, seine Kunst der Öffentlichkeit zu präsentieren und auch die nach dem Krieg entstandenen Arbeiten blieben weiterstgehend unbekannt. Diese Studie untersucht erstmals das Spätwerk des Künstlers, welches in den Jahren von 1945 bis zum Tode Schlichters 1955 entstand. Sie ordnet diese Arbeiten in sein Gesamtwerk ein, verfolgt die Veränderungen gegenüber früheren Arbeiten und stellt sie in den Zusammenhang des Neubeginns der deutschen Kunst in den ersten Nachkriegsjahren. Zudem wurde ein Werkverzeichnis aller bisher bekannten Arbeiten Schlichters aus diesen Jahren erstellt. Schlichter suchte in der Nachkriegszeit einen neuen künstlerischen Stil, der sowohl die vorausgegangenen Ereignisse unter der NS-Diktatur als auch die Situation der Nachkriegszeit erfassen sollte. Damals entstanden zudem zahlreiche Schriften, in denen sich Schlichter in die Debatte um abstrakte und gegenständliche Kunst mit einigen ebenso öffentlichkeitswirksamen wie umstrittenen Diskussionsbeiträgen einmischte, die ebenfalls in die Analyse seines Spätwerks einbezogen wurden. Unmittelbar nach dem Krieg knüpft Schlichter nur mit wenigen Arbeiten noch einmal an den Verismus der Neuen Sachlichkeit an, um die Verbrechen des Krieges sichtbar zu machen, Täter und Opfer zu benennen und die Folgen in der Nachkriegszeit zu beschreiben. Nachdem er sich jahrelang auf die Darstellung des Individuums konzentriert hatte, sucht Schlichter nach dem Krieg Darstellungsformen, in denen die gesellschaftskritischen Aussagen, Technikkritik und Kulturpessimismus allgemeiner formuliert werden. Anknüpfungspunkte für seine Kunst fand Schlichter insbesondere im Surrealismus, den er selbst jedoch nach dem Krieg als Realismus begriff.