Das SS-Ahnenerbe und die „Straßburger Schädelsammlung“ – Fritz Bauers letzter Fall.
Julien Reitzenstein
Der Anatom August Hirt ermordete im August 1943 im Konzentrationslager Natzweiler 86 Menschen. Deren Skelette wollte er in Straßburg in einem Museum ausstellen, um die von den Nationalsozialisten propagierte Minderwertigkeit der „jüdischen Rasse“ zu demonstrieren. Diese Interpretation findet sich bis heute in den Geschichtsbüchern, nicht zuletzt, weil sie genau so von Angeklagten und Zeugen in den Nürnberger Prozessen gleichlautend bestätigt wurde. Doch dem Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der sich wie kein Zweiter für die Bestrafung von NS-Tätern eingesetzt hatte, kamen Zweifel. Er vermutete ein anderes Motiv und einen anderen Tathergang. Nach Bauers Auffassung mussten noch weitere Täter beteiligt gewesen sein. Doch Bauer verstarb kurz nachdem er 1968 die Anklageschrift seiner Behörde gegen weitere SS-Angehörige unterzeichnet hatte. Nach seinem Tod arbeitete das Gericht halbherzig.
Am Ende musste nicht ein einziger der Angeklagten in Haft. Das Buch zeichnet nun auf Grundlage vieler – teilweise bisher unbekannter – Quellen den tatsächlichen Verlauf des Verbrechens nach. Die Biographien und Motive der Täter, Beihelfer und Zeugen wurden akribisch recherchiert. Der Verdacht Fritz Bauers und seiner Mitarbeiter kann nun, nach einem halben Jahrhundert, bestätigt werden. Der Autor zeigt anhand zahlreicher Dokumente, dass das Motiv dieses unmenschlichen NS-Verbrechens noch viel zynischer und grausamer war als bisher bekannt. Er konnte zudem weitere Täter und das tatsächliche Ziel des Verbrechens ermitteln. Dieses Buch zeigt eindrücklich, zu welchen Grausamkeiten Wissenschaft ohne Menschlichkeit führen kann. Es dokumentiert nicht allein die furchtbaren Verbrechen von SS-Wissenschaftlern.
Es zeigt auch, wie geschickt viele dieser Täter ihre Spuren bis heute zu verbergen wussten. Dies konnte nur in einer Gesellschaft funktionieren, die bereit war, sich die haarsträubenden Entlastungsversuche gefallen zu lassen. Heute muss die Gesellschaft sich mit jenen Apologeten auseinandersetzen, die das Narrativ der Täter weiterhin verteidigen.
»Die Ernsthaftigkeit, mit der der große Jurist Fritz Bauer in seinem »letzten Fall« über Jahre hinweg gegen Bruno Beger ermittelte, um der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen, hat eine sachliche Debatte verdient und eine Auseinandersetzung mit den vorgelegten Dokumenten und Belegen.«
Julien Reitzenstein (»Zusammenfassung«)