Das windschiefe Tor
Bohumila Grögerová, Christa Rothmeier
In einer alten Kiste entdeckt die Erzählerin Briefe und Tagebuchaufzeichnungen: die Notizen ihres Vaters, der 1918 als Soldat in Sibirien das Ende des Ersten Weltkriegs erlebt und erst 1920, über Wladiwostok, Singapur, Suez und Triest wieder nach Prag heimkehrt – 1921 kommt Bohumila auf die Welt. Und gegenläufig zur Bewegung dieses väterlichen Tagebuches nähert sich die Erzählerin selber ihren Ursprüngen, mit Erinnerungen, Impressionen, Bildern aus fast einem ganzen Jahrhundert.
Wer sich nun welthistorische Memoirenliteratur erwartet, liegt falsch. Grögerovás Prosa bewährt sich in der Organisation der zahllosen kleinen Erzählsplitter, in der völlig unsentimentalen Sinnlichkeit der ›kleinen Dinge‹ des privaten Lebens: die vielen Wohnungen im Lauf eines Lebens, die nachbarschaftlichen Verhältnisse und Schicksale, die Wochenenden und Besuche, die innige Verbundenheit mit dem im Buch nur als ‚Du‘ anwesenden Lebens- und Arbeitsgefährten. Einen großen Raum nehmen dabei alle Aspekte von Verfall, Baufälligkeit und Alter ein, egal ob bei Häusern, Wohnungen oder Körpern. Leitmotivisch wird der Eintritt in das Reich der Erinnerungen und des Schreibens durch ein schief in den Angeln hängendes Gartentor beschworen und damit der beschränkten Funktionstüchtigkeit ein wichtiger, produktiver Ort zugewiesen.
Die große experimentelle Autorin hat nicht nur ein kluges Buch über Biographie und die Herstellung von Identität geschrieben, sondern auch eines der seltenen Werke, in denen mutig dem Wesen des Alters nachgespürt wird.