Den Krieg ernähren
Kriegsgerichtete Agrar- und Ernährungspolitik in sechs NS-Gauen des "Innerreiches" 1933 bis 1945
Joachim Hendel
Das Bild des „Blut und Boden“-Mythos erklärt schon lange nicht mehr die zwölfjährige NS-Herrschaft und das Ausmaß eines sechsjährigen Vernichtungskrieges. Für die NS-Führungsriege stand fest, dass ein künftiger Krieg nicht nur rüstungs-, sondern auch ernährungspolitisch abgesichert sein müsse. Im technisch hochgerüsteten NS-System besaß die Landwirtschaft aber keinen Status als „kriegswichtiger Betriebszweig“. Stattdessen war es auf „Blitzkriege“, Ausplünderung sowie Rationierung ausgelegt. Arbeitskräfte aus dem Rüstungssektor wurden der Landwirtschaft nur widerwillig und nur zu Spitzenzeiten ausgeliehen, Material und Transportkapazitäten nur unzureichend gewährt. Die Dissertationsschrift „Den Krieg ernähren. Kriegsgerichtete Agrar- und Ernährungspolitik in sechs NS-Gauen des „Innerreiches“ 1933 bis 1945″ ist ein Beitrag zur Strukturgeschichte des Nationalsozialismus. Als Teil des 2009 bis 2012 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projektes „Die NS-Gaue als Mobilisierungsstrukturen für den Krieg“ geht es in dieser Studie darum, unterschiedliche Mittelinstanzen hinsichtlich ihrer Bestrebungen zur Lösung der Ernährungsfrage im Zweiten Weltkrieg zu untersuchen. Der Reichsnährstand beteiligte sich intensiv an den Kriegsvorbereitungen. Dessen hierarchischer Unterbau mit Landes-, Kreis- und Ortsbauernschaften trug wesentlich zur Vorbereitung und Durchführung der Kriegsernährungswirtschaft bei. Die in diesem Rahmen geschaffenen Landesernährungsämter stehen im Mittelpunkt dieser Studie. Sie belegt, wie systemimmanent und kriegswichtig diese Sonderbehörden für die Stabilität des NS-Regimes waren. Der geographische Raum der Untersuchung umfasst sechs Gaue: Thüringen, Sachsen, Halle-Merseburg, Magdeburg-Anhalt, Kurmark / Mark Brandenburg und Mecklenburg. Diese „Innerreich“-Gaue avancierten aufgrund ihrer strategisch günstigen Lage zu Hauptausbauzonen der Rüstungswirtschaft und drängten damit die Ansprüche der Ernährungssicherung in den Hintergrund. Das führte zu erheblichen Ressourcenkonflikten. Gleichzeitig stiegen die Erwartungen an die Landwirtschaft in eben diesen Regionen. Die NS-Gaue waren die einzigen relevanten und fähigen Strukturen im kriegsgerichteten System des Nationalsozialismus.