Der deutsch-französische Vertrag von 1963.
Entstehung, diplomatische Anwendung und politische Bedeutung in den Jahren von 1958 bis 1969.
Manfred Steinkühler
Der deutsch-französische Vertrag tritt im kommenden Jahr in das fünfte Jahrzehnt seines Bestehens. Seine Entstehungsgeschichte setzt 1958 ein, als Bundeskanzler Konrad Adenauer und Staatspräsident Charles de Gaulle einander zum ersten Mal begegneten. In dieser Arbeit wird erstmals die Vertragsgeschichte von ihren Anfängen bis 1969 auf der Basis gedruckter und ungedruckter Quellen, von Memoiren, der Zeitzeugenschaft des Verfassers und der Auswertung der bisherigen historischen Forschung dargestellt. Vertragsziel war und ist es, nicht nur an Stelle des mehr als hundertjährigen deutsch-französischen Antagonismus eine den Interessen Europas, der transatlantischen Allianz und dem Frieden dienende Zusammenarbeit zu entwickeln, sondern sich auch in den großen Fragen der internationalen Politik um möglichst gleichgerichtete Haltungen zu bemühen.
Der Autor geht aus deutscher Sicht der Frage nach, auf welche Weise die Regierungen Adenauer, Erhard und die Regierung der Großen Koalition unter Kiesinger und Brandt sich dieser Aufgabe gestellt haben. Im Mittelpunkt stand das Bestreben, die bestehenden Animositäten unter gegenseitiger Respektierung der notwendigerweise unterschiedlichen Interessen abzubauen und das Verständnis der Menschen beiderseits des Rheins füreinander zu wecken und zu vertiefen. Des weiteren sollte der Vertrag als integrierender und stabilisierender Bestandteil der westlichen Bündnissysteme im Interesse der damals noch nicht absehbaren Beilegung des Ost-West-Konfliktes begreiflich gemacht werden. Hatte Adenauer es vermocht, die in der Realität oft auseinanderstrebenden Vertragsziele unbefangen zu bündeln, so ist sein Nachfolger Erhard darin glücklos geblieben: Neben mangelnder Affinität zu Frankreich erschwerten auch die Vorbehalte der in Politik und Verwaltung wieder tätig gewordenen Eliten aus der NS-Herrschaft seine Bemühungen – ein Umstand, der insbesondere unter Kiesinger und seiner unmittelbaren Umgebung offenbar wurde, und dem entgegenzuwirken es selbst Brandt an Macht und wohl auch an Entschiedenheit mangelte. Am Ende der 60er Jahre bot der deutsch-französische Vertrag einen unerläßlichen Ansatzpunkt für Deutschlands Rückkehr in den Westen – seine Erträge wurden aber erst langfristig spürbar.
Über den Autor: Manfred Steinkühler, geb. 1929 in Bielefeld, Studium der vergleichenden Literaturwissenschaft in Paris und der Geschichte in Berlin. Promotion an der Sorbonne mit einer Arbeit über die Wirkungsgeschichte des französischen Diplomaten und Rassentheoretikers Arthur de Gobineau in Deutschland. 1962-1965 Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. 1965-1991 Auswärtiges Amt mit Verwendung an den Auslandsvertretungen Mailand, Bukarest, Rio de Janeiro, Rom, Paris und in der Zentrale im Leitungsstab, zuletzt Generalkonsul in Mailand. Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen über internationale Beziehungen, das kommunistische Parteiensystem, insbesondere den Eurokommunismus, und über Bereiche der NS-Forschung.