Der italienische Verfassungsgerichtshof.
Status und Funktionen.
Michael Dietrich
Die Nachkriegszeit hat der Verfassungsgerichtsbarkeit einen bis dahin einmaligen Entwicklungsschub beschert, der durch die Ereignisse der späten achtziger Jahre noch einmal verstärkt wurde. Die Entwicklung hat dabei vom bilateralen Konflikt zwischen Exekutive (König) und Legislative (Parlament) hin zu einem multilateralen Konflikt unter Einbeziehung auch der Judikative und des einzelnen Bürgers geführt. Nicht nur in den westlichen Demokratien ist die Verfassungsgerichtsbarkeit zu einem tragenden Element geworden. Fast in allen Verfassungen bzw. Verfassungsentwürfen ist eine Verfassungsgerichtsbarkeit vorgesehen, wie auch die Demokratisierung in den osteuropäischen Staaten zeigt. Diese Entwicklung hat aber keine Vereinheitlichung der Verfassungsgerichtsbarkeit gebracht. So finden sich etwa bei der Normenkontrolle – dem »klassischen« Element der Verfassungsgerichtsbarkeit – ganz unterschiedliche Formen von Art und Zeitpunkt der Kontrolle. Diese Verschiedenheit macht den Blick insbesondere zu unseren europäischen Nachbarn nicht nur reizvoll und anregend, sondern im Zuge der fortschreitenden europäischen Einigung geradezu notwendig. Die vorliegende Studie beschreibt Entstehen, Funktion und Kompetenzen der italienischen Verfassungsgerichtsbarkeit und stellt sie in ihrer Bedeutung auch im europäischen Kontext vor. Das besondere Interesse an der italienischen Verfassungsgerichtsbarkeit rechtfertigt sich aus der herausragenden und unbestrittenen Bedeutung der Corte costituzionale. Dabei muß gerade das Verhältnis zur Legislative aus deutscher Sicht wegen der speziellen Urteilstechnik der Corte costituzionale ganz ungewöhnlich anmuten. Zusätzlich interessant ist die italienische Verfassungsgerichtsbarkeit für den Betrachter durch institutionelle Reformen und Reformvorschläge aus den letzten Jahren, die nicht zuletzt im aktuellen politischen Wandel Italiens zum Tragen kommen.