Der Junge aus Duala
Ein Regierungsschüler erzählt ...
Beatrix Heintze, Richard Kuba, Dualla Misipo, Jürg Schneider
Stephan Dualla Misipo wurde am 4. Juni 1901 in Duala, der Hauptstadt der damaligen deutschen Kolonie Kamerun, geboren. Die Familie Misipo gehörte der Oberschicht der Ethnie der Duala an. Dualla Misipo besuchte die deutsche Regierungsschule in Duala und reiste im November 1913 in Begleitung eines deutschen Beamten auf der Eleonora Woermann nach Deutschland. In Herborn, einer kleinen Stadt in Mittelhessen, ging er zur Schule. Diesen und spätere Abschnitte seines Lebens bis etwa 1930 hat er in „Der Junge aus Duala“ sehr ausführlich beschrieben.
Mitte der 1920er-Jahre lernte Dualla Misipo, wahrscheinlich in Frankfurt, die Postbeamtentochter und Stenotypistin Luise Dutine kennen. Die Geschichte ihrer Liebesbeziehung, die Zweifel der Familie an der Zukunftsfähigkeit einer Verbindung zwischen einem schwarzen Mann und einer weißen Frau und die Anfeindungen der Umwelt gegenüber dem Paar sind ein zentrales, wenn nicht sogar das zentrale Thema des Buches.
Die Gewalt und Demütigungen aufgrund seiner Hautfarbe und seiner Herkunft, die er von klein auf in verschiedenster Form erleben musste, werden in „Der Junge aus Duala“ einnehmend geschildert: von gnadenloser Prügel, die er und seine Kameraden wegen Kleinigkeiten vom deutschen Schullehrer in Duala bezogen, von der ungestraften Vergewaltigung einer Verwandten durch deutsche Matrosen, welche die Großmutter nach der Tat straflos abziehen lassen musste, den schreienden und johlenden Kindern, die Dualla und seinen Pflegeeltern auf ihren Sonntagsspaziergängen in den Dörfern um Herborn hinterherliefen, und den Anfeindungen und verächtlichen Blicken, denen er und seine Braut ausgesetzt waren. Damit stellt das Werk eine Mischung aus Autobiographie, Ethnographie und Sachbuch dar, wobei die Grenzen zwischen den Genres nicht immer klar zu ziehen sind.
Für viele wären solche traumatischen Erlebnisse zu einem Boden geworden, auf dem Hass, Verzweiflung und Frustrationen wachsen und gedeihen konnten. Nicht so bei Dualla Misipo. Er identifizierte den „Rassismus als ideologisches System“ und ein „spezielles Produkt der europäischen Zivilisation“.
Wir mögen Dualla Misipo für sein Werk schätzen, für dessen geschickte, „moderne“ Komposition, wir mögen es analysieren, lesen und bewahren als eines der raren Selbstzeugnisse eines Afrikaners aus jener Zeitperiode und deshalb in unsere Bibliotheken stellen, aber wir bewundern ihn, und seine Frau, dafür, dass sie trotz aller Widerwärtigkeiten und Verletzungen nicht verbittert sind und Zeit ihres Lebens an ein friedliches Neben- und Miteinander aller Menschen geglaubt haben, ungeachtet ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts oder Glaubens.