Der Osiris-Mythos als Medium von Lebensführung und Lebensdeutung
Petra Schilm
Das Buch beschreibt die Transformation des Osiris-Mythos sowie seine Erscheinungs- und Darstellungstypen in Antike und Gegenwart. Die Autorin versteht den Mythos als symbolische Darstellung von Konstitution von Bedeutung, und sie zeichnet Positionen einer Lebensdeutung und Lebensführung aus dem Mythos in Antike und Gegenwart nach. Ausgangspunkt ist die Sicht auf den Osiris-Mythos innerhalb der Schule Carl Gustav Jungs. Die unterschiedlichen Interpretationsstränge des Mythos und seine Anwendung in Therapien werden herausgearbeitet. Einen neuen Erzähltypus des Osiris-Mythos, der sich allmählich entwickelt hat, entdeckt die Autorin in der Analytischen Psychologie. Aus der anfänglichen bloßen Deutung statischer Symbole und Einzelfiguren des Mythos ist im Lauf der letzten Jahrzehnte die Deutung geschlossener narrativer Abläufe im Mythos geworden. Der Osiris- Mythos wird nun, eingebettet in ein philosophisches Denksystem, als Idealtypus des sogenannten „Individuationsprozesses“ interpretiert. Der Osiris-Mythos wird psychologisiert und als Modell von Lebensdeutung aufgefasst. Von dieser Feststellung ausgehend stellt Petra Schilm die These auf, dass der Mythos von Isis und Osiris bereits in der Antike eine Sinn- und Bedeutungsgebung für das Leben von Menschen aufwies. Der Osiris- Mythos hat eine „psychologisierende Karriere“ hinter sich, heute behauptete anthropologische Dimensionierungen des Mythos haben Vorläufer in der Antike. Die Sicht auf den Osiris-Mythos innerhalb der Jung’schen Schule hat Vorläufer in der mittelplatonischen Philosophie, in Plutarchs Schrift „De Iside et Osiride“ (um 120 n. Chr.) und seiner Einbettung des Osiris-Mythos in das philosophische Denksystem des Mittelplatonismus. Bei Plutarch ist eine ganz evidente Konstruktion von Sinngebung für Menschen aus dem Osiris-Mythos zu beobachten. Hinweise auf eine Lebensdeutung und -führung aus dem Osiris-Mythos lassen sich auch an der rituellen Medialisierung des Osiris-Mythos ablesen, an Ritualhandlungen als Repräsentation des Osiris-Mythos sowohl im Alten Ägypten als auch im griechisch-römischen Raum, bei den Mysterien. Bezüge zwischen der Sicht Plutarchs und dem Ansatz des Jung-Schülers Erich Neumann werden verdeutlicht und die Brückenfunktion Johann Jakob Bachofens herausgearbeitet. Die Arbeit tangiert unterschiedliche Wissenschaftszweige und bietet ein Stück Rezeptionsgeschichte eines Mythos, der in der europäischen Kulturgeschichte bis heute einen wichtigen Stellenwert hat.