Der Sanktionsdurchgriff im kapitalgesellschaftsrechtlichen Unterordnungskonzern nach §§ 30, 130, 9 OWiG
Qualitativ empirische Einblicke in bußgeldrelevante Aspekte der Sanktionsdurchgriffsproblematik
Tobias Wiesenack
Während die Sanktionierung des Einzelunternehmens bzw. -betriebes schon lange die wirtschaftsstrafrechtliche Diskussion bestimmt, besteht erst in jüngerer Zeit ein verstärktes Interesse für die Sanktionierung einer Obergesellschaft in Konzernzusammenhängen. Dies mag an selbst bei Wirtschaftsstrafrechtlern auszumachenden Berührungsängsten mit dem Gesellschafts- bzw. Konzernrecht, möglicherweise aber auch dran liegen, dass Verfolgungsbehörden erst in den letzten Jahren Obergesellschaften zunehmend wegen sich in der Sphäre einer Tochtergesellschaft entwickelnder Rechtsverstöße ins Visier nehmen und sich hierbei auf § 130 OWiG stützen. Die Anwendung des § 130 OWiG steht dabei auf dem Gerüst einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise. Allerdings fehlt es bislang an solider Empirie dazu, wie Organisations-, Entscheidungs- und Informationsverarbeitungsprozesse in Konzernen stattfinden und wie in der Praxis mit etwaigen Sanktionsrisiken bzw. der tatsächlichen Sanktionierung konzerndimensional umgegangen wird.
Der Autor widmet sich in seiner Untersuchung in erster Linie dieser, bislang weitgehend unbeachteten, rechtstatsächlichen Perspektive. Mittels eines qualitativen Forschungsansatzes wurden im Rahmen einer explorativen Erhebung Experteninterviews mit Führungskräften aus großen Konzernen, Anwälten aus renommierten Wirtschaftskanzleien und Vertretern von Aufsichts- und Verfolgungsbehörden geführt. Die erhobenen empirischen Daten sind auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsmaterie sachgerecht aufbereitet und normbezogen ausgewertet worden, um zur Lösung der ungeklärten Rechtsfrage um die konzerndimensionale Anwendung des § 130 OWiG beizutragen. Denn die Lösung dieser Rechtsfrage ist, soweit das Strafrecht empirisch argumentiert, in den tatsächlichen Besonderheiten des Systems „Wirtschaft“ angesiedelt.