Der zweite Thessalonicherbrief als Erneuerung apokalyptischer Zeitdeutung
Taeseong Roh
Ausgangspunkt des Werkes ist die Frage, ob der zweite Brief an die Thessalonicher tatsächlich eine Korrektur des ersten Briefes bzw. der dort vertretenen Naherwartung des Paulus darstellt. Für die Beantwortung dieser Frage ist entscheidend, ob die in 2Thess 2,2 vorgestellte Parole durch »Der Tag des Herrn ist da« oder durch »Der Tag des Herrn ist nah« zu übersetzen ist. Im ersten Fall stellt die in 2Thess 2 bekämpfte eschatologische Lehre keine Naherwartung dar, sondern eine (angeblich) realisierte Eschatologie. Der Verfasser des zweiten Briefs antwortet auf sie mit einer bisher in der Exegese kaum bedachten eschatologischen Position: Er antwortet mit einer Erneuerung der Naherwartung, die Paulus im ersten Brief vertreten hat. Taeseong Roh gelingt es, den zweiten Brief des Paulus an die Thessalonicher (sozial-) geschichtlich zu erhellen. Er tritt damit einer in der Exegese weit verbreiteten Resignation entgegen, das im zentralen apokalyptischen Teil in 2Thess 2,3ff Gesagte sei so sehr verschlüsselt, dass es heute nicht mehr zu enträtseln ist. Für die sozialgeschichtliche Fragestellung wertet die Arbeit verschiedene Indizien in 2Thess 2,1–12 aus. Dadurch lässt sich eine bestimmte zeitgeschichtliche Situation im Imperium Romanum des 1. Jh. n.Chr. zur Zeit des Vespasian beschreiben.