Die altsüdarabischen Minuskelinschriften auf Holzstäbchen aus der Bayerischen Staatsbibliothek in München
Band 2 Die altsabäischen und minäaischen Inschriften. Mit einem Anhang: Unbeschriftete Objekte und Fälschungen
Peter Stein
Auch wenn das antike Südarabien zu den vergleichsweise gut dokumentierten Schriftkulturen des Alten Orients zählt, beschränkte sich die textliche Überlieferung lange Zeit auf sogenannte Monumentalinschriften – für die öffentliche Zurschaustellung gemachte, formulargebundene Bau- und Weihinschriften, juristische Verlautbarungen und herrschaftliche Tatenberichte. Dokumentarische Texte aus dem Alltagsleben wie Wirtschaftsabrechnungen, signierte Verträge oder Briefe kamen erst seit den 1970er Jahren ans Tageslicht. Diese Alltagskorrespondenz wurde in handliche Holzstäbchen geritzt, wobei eine eigene, von der zeitgenössischen Monumentalschrift deutlich abweichende Kursivschrift entstand. Mehrere tausend solcher Aufzeichnungen sind heute bekannt, doch nur ein kleiner Teil davon ist publiziert, was nicht zuletzt mit Schwierigkeiten der Lesung und der neuartigen sprachlichen Gestalt dieser Texte zusammenhängt. So wartet namentlich die Briefkorrespondenz mit zahlreichen bislang völlig unbekannten Wörtern, Syntagmen und stilistischen Ausdrucksweisen auf, die unser Verständnis der zugrundeliegenden Sprachen deutlich erweitern. Dies gilt insbesondere für die noch immer nur rudimentär erschlossene minäische Grammatik, deren Kenntnis mithilfe der im vorliegenden Corpus umfangreich vertretenen Texte in dieser Sprache einen erheblichen Zugewinn erfährt. Die ausführliche philologische Kommentierung sämtlicher Texte steht daher im Mittelpunkt der Edition. Doch auch der inhaltliche Ertrag aus den vielfältigen neuen Textgattungen ist immens. So erfahren wir beispielsweise Details über Zinsregelungen bei Geldschulden, die Durchführung von Gerichtsverfahren oder rituelle Praktiken von Orakel und Magie – Sachverhalte, die in den zeitgenössischen Monumentalinschriften überhaupt nicht zur Sprache kommen. Die zahlreichen Übungstexte, vom Alphabet bis zum vollständigen Urkundenformular, lassen Rückschlüsse auf die Verbreitung von Literalität sowie die Ausbildung des Schreibernachwuchses zu. Als zeitgenössische Dokumente bilden die beschrifteten Holzstäbchen aus dem antiken Jemen eine wichtige Primärquelle für die Kultur- und Sozialgeschichte der Arabischen Halbinsel in vorislamischer Zeit. Mit den hier veröffentlichten 180 Texten und Textfragmenten in sabäischer und minäischer Sprache sowie im amiritischen Dialekt, die etwa dem Zeitraum vom 9. bis zum 2. Jh. v. Chr. entstammen, wird die Edition der insgesamt 385 Schriftstücke umfassenden Sammlung der Bayerischen Staatsbibliothek in München zum Abschluss gebracht. Es handelt sich dabei um das größte zusammenhängend publizierte Corpus dieser Art. Ergänzend zu den altsüdarabischen Schriftdokumenten wird in einem Anhang summarisch auch auf die im Münchner Sammlungsbestand befindlichen Holzgegenstände und die nicht wenigen modernen Fälschungen beschrifteter Stäbchen eingegangen. Sämtliche behandelten Objekte sind in einem umfassenden Tafelteil illustriert. Der lexikalische und onomastische Ertrag der Texte wird durch detaillierte Verzeichnisse erschlossen.