Autoren Biografie
Aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt, beschloss Walter Schöttl, seinem Vater in dessen Beruf zu folgen und studierte in Erlangen Zahnmedizin. Zur Doktorarbeit suchte er sich ein komplexes Thema aus: „Inwieweit kann die Anwendung der Kalotte nach Monson die individuelle Prothesengestaltung nach Gysi ersetzen?“
Weder der Vater noch irgendwer an der Universität konnten ihm hierbei mit Fachwissen beistehen, das er erst nach langem Suchen im Gysi-Mitarbeiter L. Köhler fand. Die in der Nachkriegszeit noch recht beschwerlichen Reisen konnten ihn nicht davon abhalten, seinen neuen Mentor wiederholt zu besuchen, der ihn in der Folge mit modernen Artikulatoren, Gelenkbahnmessungen und vor allem auch der neuesten amerikanischen Literatur vertraut machte.
Die Begeisterung für solch neue Entwicklungen konnte der Vater nicht mittragen und so gründete Walter Schöttl ein eigenes zahntechnisches Labor zusammen mit seinem Freund Georg Kramer, in dem man diesen Spuren nachgehen wollte, auch wenn dies mangels bezahlbarer Räumlichkeiten im Dachboden der Schwiegermutter geschehen musste. Vor allem den Einstückguss wollte man meistern, jedoch brauchte man zuerst eine zuverlässigere Abfomtechnik und fand für die Entwicklung von geeigneten Silikonen für 2-Phasen-Abdrücke bei der Wacker Chemie offene Ohren. Heräus steuerte Wissen zur Gußtechnik bei. Immer wieder stieß man aber auf Grenzen, die in den USA bereits überwunden schienen.
Mitte der 60-er Jahre war endlich mit der finanziellen Unterstützung durch befreundete Kollegen eine erste Reise in die USA zum Besuch des Chicago Midwinter Meetings möglich, der ihn in Kontakt mit der Firma Whip-Mix brachte, deren vakuumgerührte Superhartgipse, hygroskopische Einbettmassen und Vakuum-Druckgußsysteme Türen zu ungeahnten Möglichkeiten auftaten. Der Firmengründer Ed Steinbock brachte ihn in der Folge mit den schillernsten Kollegen der Zeit zusammen, darunter Charles Stuart, Mitbegründer der Gnathologic Society, Harry Lundeen und seine Aufwachstechnik, Bert Wiebrecht, der die Kieferorthopädie nach Crozat der Zahnheilkunde zugängig gemacht hatte, Robert Ricketts mit seiner Bioprogressiven Therapie, Daniel Garliner und die Myofunktionelle Therapie und Bill Farrar, der als erster die Diskusverlagerung darge-stellt hatte und erklären konnte.
Mit Beginn der 70-er Jahre kamen Umbrüche auf allen Ebenen. Walter Schöttl hatte eine Firma zum Vertrieb der Whip-Mix Produkte gegründet, die Frankonia Dental, die schon bald Gipse und Einbettmassen containerweise importierte. Stuart hatte einen Studentenartikulator für Whip-Mix entworfen, ein vereinfachtes und kostengünstiges Gerät, für das bald auch in Deutschland große Nachfrage entstand, wodurch Walter Schöttl landesweit mit vielen Kollegen und Universitätsprofessoren in Kontakt kam. In den Jahren zuvor hatte er seinen ehemaligen Prothetik-Professor Dr. Bock dafür begeistern können, Prof. Lundeen zu Aufwachskursen nach Deutschland einzuladen, die Walter Schöttl für die Teilnehmer übersetzte. Jedoch war Prof. Bock verstorben und sein Nachfolger hatte keinerlei Interesse an der Fortsetzung dieser Aktivitäten.
Frustriert von den widersprüchlichen Interessen und dem Konkurrenzdenken zwischen den Abteilungen, beschloss Walter Schöttl, die Aufwachstechnik in einem eigenen Privatinstitut weiter zu verbreiten, dem 1970 gegründeten „ITMR“ (Institut für Temporo-Mandibuläre Regulation). Da diese Entwicklungen selbst seinem Freund Kramer zu stürmisch verliefen, stellte er einen jungen Zahntechniker aus Österreich in seinem neu eingerichteten Praxislabor ein, Heinz Polz. Dieser war schnell in die neuen Techniken eingearbeitet und bald Feuer und Flamme für die Aufwachstechnik. Ein 2-er Gespann entstand, in dem beide sich gegenseitig mit ihrem Enthusiasmus aufstachelten, und es dauerte nicht lange, bis ein regelrechter Ausbildungsbetrieb für Zahnärzte und Zahntechniker im ITMR etabliert war, in dem auch Wiebrecht mit seiner Crozat-Technik, Lee mit seiner Axiographie, Farrar mit seinen Repositionierungsschienen und andere ein erstes Forum in Deutschland fanden.
Eigene Pantographiegeräte wurden entwickelt und im 1978 erschienenen Buch „Das TMR-System – Prä-Therapie als Voraussetzung der Rehabilitation“ vorgestellt. Eine im Kaltspritzguß hergestellte Reponierungsschiene, bei der die Gelenkkondylen um ein genau bekanntes Maß über die so genannte „konstruierte Achse“ repositioniert wurden, findet sich noch heute in der zahntechnischen BEB als „Schöttl-Schiene“. Er übersetzte neben anderen englischen Texten das Aufwachsmanual von Lundeen und das erste Buch zur Myofunktionellen Therapie von Garliner ins Deutsche, beschrieb seine „Gnathologische Kieferorthopädie“, war Gründungsmitglied in mehreren Fachgesellschaften – Walter Schöttl war an vielen Fronten aktiv, dabei aber nirgendwo oberflächlich.
In den 80-er Jahren wuchs seine Frustration mit den gnathologischen Dogmen, die einer tiefen und gründlichen Prüfung ein ums andere Mal nicht standhalten konnten. Einen Weg zurück in die Zeit davor gab es nicht, denn in der Gnathologie hatte man zu einer präzisen Arbeitsweise gefunden, die er keinesfalls missen wollte. Und so fand er seinen Weg in diverse Arbeitskreise, die ganzheitlich ausgerichtet waren, wobei er stets bemüht war, die gedankliche und technische Genauigkeit mit den wesentlich weiteren Horizonten, die sich hier boten, zu vereinen, denn er verabscheute schlampiges Denken und Handeln.
Als sein Sohn Rainer 1985 vom Studium in den USA zurückkehrte, war die zuvor so fruchtbare Partnerschaft Schöttl/Polz bereits zerbrochen. Nach anfänglichem Zögern ließ Walter Schöttl sich 1986 zu einem Besuch bei Bernard Jankelson in Seattle überreden und kam dort zum ersten Mal in intensiven Kontakt mit dessen Erkenntnissen über die neuromuskuläre Steuerung des Kausystems, der Elektromyographie und der Myozentrik. Auf bisher unbekannte Weise wurde ihm dort sein eigenes Problem mit Bruxismus verständlich und er konnte am eigenen Leib erfahren, wie sich die Lösung einer chronisch verkrampften Kaumuskulatur bis in den Schultergürtel auswirken kann.
Erneut hatte sich seine Begeisterung entzündet und er übernahm mit seiner Frankonia Dental den Vertrieb des Jankelson-Myomonitor und der Elektromyographie- und Magnetkinesiographiegeräte in Deutschland. Das ITMR erfuhr eine Wiederbelebung, diesmal in Kooperation mit dem eigenen Sohn.
Bis ins hohe Alter arbeitete Walter Schöttl in der zahnärztlichen Praxis, die er 1988 seinem Sohn übertragen hatte, und pflegte dort vor allem sein Hobby, die kieferorthopädische Frühbehandlung. Es gab kaum eine Fachtagung, die er hätte besuchen können, ohne auf Bekannte zu stoßen, denn ohne diesen Ruf je für sich zu reklamieren, hat Walter Schöttl viele Bereiche der Zahnheilkunde beeinflusst.