Die Dienstleistungsfreiheit auf dem Gebiet der audiovisuellen Medien
im Rahmen des GATS im Spannungsfeld von Marktfreiheit und kultureller Selbstbestimmung der Staaten der Europäischen Union.
Helmut Baumann
Am 15. April 1994 endete im marokkanischen Marrakesch die achte Verhandlungsrunde des allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (General Agreement on Tariffs and Trade, GATT), die sogenannte Uruguay-Runde. Die Ergebnisse der Uruguay-Runde brachten eine entscheidende Umgestaltung der bisherigen Welthandelsordnung: das bislang nur provisorisch angewandte GATT-Abkommen aus dem Jahre 1947 wurde als »GATT 1994« unter das »Dach« einer neu geschaffenen Welthandelsorganisation, der WTO, aufgenommen, zusammen mit zwei ebenfalls neuen Vertragswerken, dem Abkommen zum Schutz geistigen Eigentums (TRIPs) und dem Dienstleistungsabkommen GATS.
Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht ein Komplex, der im Rahmen der Verhandlungen zum neuen »General Agreement on Trade in Services« äußerst kontrovers diskutiert wurde: ob und inwieweit die sogenannten audiovisuellen Medien als Dienstleistungen in das GATS einbezogen werden können bzw. inwieweit sie als »kultureller Faktor« Ausnahmeregelungen unterworfen werden sollten – eine Position, die insbesondere die Staaten der Europäischen Union, allen voran Frankreich und Spanien, mit Vehemenz vertraten. Die Arbeit gibt einen Überblick über die alten und neuen Strukturen der Welthandelsordnung und beschreibt anschließend die Verhandlungen betreffend die audiovisuellen Medien, an deren Ende die faktische Ausklammerung dieses Bereichs aus dem GATS stand. Dann wird ein Modell entwickelt, mit dessen Hilfe die audiovisuellen Medien in das GATS einbezogen werden könnten. Es geht von der Erkenntnis aus, daß audiovisuelle Angebote durchaus Dienstleistungen im Sinne des GATS sind, verkennt aber auch nicht die »kulturelle Dimension« dieses Wirtschaftszweigs.
Die Untersuchung führt hin zu einer »Kulturschutzklausel« als Ausnahmebestimmung zu den Grundsätzen des GATS. Diese ist geeignet, die kulturellen Schutzbedürfnisse der Staaten der Europäischen Union zu befriedigen, verhindert gleichzeitig jedoch, daß unter dem Deckmantel des Kulturschutzes wirtschaftlicher Protektionismus betrieben werden kann.