Die Genealogie der Post-Apokalypse
Günter Grass' "Die Rättin"
Thomas Kniesche, Thomas W Kniesche
Am Ende des Kalten Krieges angelangt, hat man in Europa die Apokalypse auf die nächste Krise vertagt. Zusammen mit anderen Endzeitvisionen scheint auch Günter Grass’ 1986 erschienener Band Die Rättin schlagartig an Aktualität eingebüßt zu haben. Die Untersuchung weist demgegenüber nach, dass Grass’ Text das auf Schuld-Management aufgebaute ödipale Denken der traditionellen Apokalypse lediglich als Folie verwendet, um ihr einen post-apokalyptischen Text einzuschreiben. In der Post-Apokalypse hat der Untergang schon stattgefunden: die textuellen Effekte der Nachträglichkeit manifestieren sich bei Grass als Intertextualität, die Aufklärung und Hermeneutik radikal in Frage stellt.Anhand einer Lektüre des Grass’schen Korpus, die das von Freud ausgegrabene melancholische Denkmuster ernst nimmt, wird versucht, einen über Die Rättin hinausgehenden Interpretationsrahmen für die Texte von Grass zu skizzieren. Dabei erweist sich die Rättin als ambivalentes Phantasma der MAGNA MATER, jener „Schwarzen Köchin“, von der Grass schon in Die Blechtrommel wusste, dass es vor ihr kein Ausweichen gibt.